Quo vadis OZG? Peter Adelskamp (CDO der Stadt Essen) über den ganz normalen Wahnsinn der Verwaltungsdigitalisierung

Peter Adelskamps Interpretation von Munks "Der Schrei" - mit dem er einen kreativen Mitarbeiter-Wettbewerb gewonnen hat. Zu sehen ist Peter Adelskamp, der die Poste und Mimik des Schreis imitiert. Im Hintergrund eine selbstgemalte Landschaft mit einem Fluss und einer Brücke mit zwei Personen.

Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland: Es ist ja nicht so, als würde es nicht vorangehen. Aber eben zu langsam, zu kompliziert, zu wenig nutzerorientiert. Sinnbildlich dafür steht das Onlinezugangsgesetz (OZG). „Das OZG ist erfolgreich gescheitert“, sagt Peter Adelskamp, Chief Digital Officer (CDO) der Stadt Essen. Da haken wir nach und möchten in diesem Beitrag der kommunalen Perspektive auf Digitalisierung und OZG Raum geben. Denn, so Adelskamp: „Wir sollen das OZG zwar in weiten Teilen umsetzen. Aber bei der Entwicklung des Gesetzes saßen die Kommunen nur am Katzentisch und wurden nicht so recht mitgedacht.“

In diesem Beitrag geht es darum, …

  • … wie die Stadt Essen an Digitalisierung und OZG herangeht,
  • … was das OZG gebracht hat und woran es hakt – mit Beispielen aus dem kommunalen Alltag, bei denen man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll,
  • … was Kommunen fordern und was das OZG 2.0 diesbezüglich bringt,
  • … wie man es schafft, nicht verrückt zu werden an der Aufgabe Verwaltungsdigitalisierung.

Quelle Beitragsbild: Peter Adelskamp (seine Interpretation von Edvard Munchs „Der Schrei“ – mit dem er einen kreativen Mitarbeiter-Wettbewerb gewonnen hat).

Schlaglichter der Digitalisierung in Essen

Profilbild Peter Adelskamp

Peter Adelskamp (Quelle: Stadt Essen)

Digitalisierung rankt sich immer um die Schnittmenge von Personal, IT und Organisation und die Rahmenbedingungen drumherum. Genau in dieser Gemengelage war Peter Adelskamp auch in der Verwaltung seiner Heimatstadt Düsseldorf unterwegs – zunächst im Amt für Informationstechnik, wo es „damals“ noch um die Netzwerkinfrastruktur und die Einführung von Bürosoftware ging. Später kam das Organisationsmanagement dazu und damit die Prozesssicht – in den Funktionen als stellvertretender Hauptamtsleiter und CDO. Nach 33 Jahren hat er sich von der Stadt Essen abwerben lassen, wo er seit Anfang 2019 CDO und Leiter des mittlerweile 19-köpfigen Fachbereichs Digitale Verwaltung ist.

Im Interview beschreibt er einige Schlaglichter und Erfolgsfaktoren der Digitalisierung, die ihn bei der Stadt Essen umtreiben:

Nutzer:innenorientierung und Netzwerkkommune

Die Herausforderung eines Digitalisierungschefs, aber auch das, was seinen Job spannend macht, beschreibt Peter Adelskamp so: „Man kommt schnell in die Tanzbereiche anderer Fachbereichsleitungen und ist auf Austausch und Kooperation angewiesen, um gestalten zu können. Einen gemeinsamen Weg zu finden, die Verwaltung nach innen und außen besser zu machen, ist großartig.“ Bei der Digitalisierung geht es aus seiner Sicht vor allem darum, Abläufe und Denkweisen zu verändern – etwa in Richtung Nutzer:innenorientierung und Netzwerkkommune.

Bei der Nutzer:innenorientierung denkt er nicht nur an die Menschen außerhalb der Verwaltung: „Ganz entscheidend sind für mich auch die eigenen Beschäftigten, die mit all dem arbeiten und deswegen verstehen müssen, warum wir das machen und wo wir damit hinwollen“.

In Form einer Tag-Cloud sind die Rückmeldungen der Beschäftigten zu der Frage: „Bei welchem Thema / in welchem Bereich / bei welchem Prozess sehen Sie den größten Bedarf für eine Weiterentwicklung durch Digitalisierung?“ dargestellt. Einige Schlagworte: Bürgerservice, Homeoffice, Prozessmanagement, interne Kommunikation, Bürgerdienste, Posteingänge, E-Akte.

Rückmeldungen der Beschäftigten zu der Frage: „Bei welchem Thema / in welchem Bereich / bei welchem Prozess sehen Sie den größten Bedarf für eine Weiterentwicklung durch Digitalisierung?“ (Quelle: Stadt Essen)

Auch die Idee der Netzwerkkommune betrachtet Peter Adelskamp von innen und außen: Es geht zum einen um die Zusammenarbeit innerhalb der Stadtverwaltung und eine ganzheitliche Sicht auf Prozesse, die nicht an Fachbereichsgrenzen und Zuständigkeiten halt macht. Und zum anderen um eine unkomplizierte Zusammenarbeit mit Akteur:innen außerhalb der eigenen Verwaltung. Zum Beispiel der niederschwellige Austausch mit anderen Kommunen oder Behörden im Verwaltungsrebellen-Netz (mittlerweile „RuDi“) – damit das Rad nicht immer wieder neu erfunden wird.

Das digitale Ökosystem der Stadt Essen ist in Form einer Netzgrafik dargestellt. Einige Knotenpunkte, die darin auftauchen: DMS / Workflow, Dienstleistungsdatenbank, Bürger:innen, Unternehmen, Fachverfahren, E-Akte, Servicecenter, Open Data, E-Payment, ...

Digitales Ökosystem der Stadt Essen (Quelle: Stadt Essen)

Eine Digitalstrategie für ein gemeinsames Zielbild

Aus Sicht von Peter Adelskamp ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor der Digitalisierung, ein klares Zielbild zu vermitteln: „Anders als manchmal gesagt glaube ich nicht, dass die Mitarbeitenden Angst vor der Technik haben – sondern dass sie befürchten, dass irgendetwas passiert, dessen Konsequenzen sie nicht absehen können, und ihnen auch nicht ehrlich und transparent kommuniziert wurde. Daher halte ich für besonders wichtig, dass wir offen mit ihnen sprechen. ihnen erklären, was wir machen wollen, was die Zielsetzung ist, wie wir dahin kommen, und sie bei der Frage einbeziehen, welcher Weg der richtige ist.“

Aus diesem Grund hat die Stadt Essen kürzlich auch eine Digitalstrategie veröffentlicht und dabei besonderen Wert darauf gelegt, dass diese verständlich formuliert ist.

Titelseite der Digitalstrategie (Quelle: Stadt Essen)

Digitalstrategie der Stadt Essen (Quelle: Stadt Essen)

Digitalisierung braucht Handlungsspielräume

In Essen sichert diese eine veränderungsfreudige Personaldezernentin, „die weiß, worauf es bei der Digitalen Transformation ankommt“ (Peter Adelskamp). Zudem ist der CDO regelmäßig Gast bei den Sitzungen des Verwaltungsvorstandes: „Ich höre zu, ich kann beraten, ich kriege mit, ich weiß, welche Entwicklungen es gibt und welche wichtigen Themen diskutiert werden, und kann bei Bedarf auch etwas dazu beitragen“.

Neben dieser Aufmerksamkeit und Rückendeckung „von oben“ erhält Peter Adelskamp zunehmend Unterstützung aus anderen Fachbereichen und allen Hierarchieebenen: „Das, was den Job interessant macht: Dass man die Grenzen immer mehr erweitert und es dabei immer besser wird. In der Verwaltung verbreitet sich zunehmend eine andere, eine veränderungsfreudige und digitalisierungsoffene Grundhaltung. Und je mehr Menschen an Bord kommen, desto größer werden die Gestaltungsmöglichkeiten für Digitalisierung“.

Ein zentrales Digitallots:innen-Team

Bei der Umsetzung der Strategie unterstützt in Essen ein Team von Digitallots:innen, die zentral im Fachbereich Digitalisierungsstrategie angesiedelt sind. „Die Fachbereiche haben in der Regel selbst einen guten Überblick, welche Verfahren es auf dem Markt gibt, und haben Ideen zur Digitalisierung – damit können sie auf die Digilotsen zugehen. Wir beraten dann, was mit den Mitteln möglich ist, die wir zur Verfügung haben. Wenn wir an Grenzen stoßen, beschreiben wir den Bedarf und schauen gemeinsam mit dem IT-Dienstleister der Stadt Essen nach passenden Lösungen.“ Damit das gut funktioniert und die Digilots:innen die Fachbereiche bei den Themen OZG, Prozessmanagement und Dokumentenmanagementsystem zur Seite stehen können, soll das Team noch weiter ausgebaut werden. Das Ziel: Eine enge Zusammenarbeit zwischen Multiplikator:innen in den Fachbereichen und dem Fachbereich Digitale Verwaltung.

Prozessmanagement

Die Digilots:innen unterstützen auch dabei, Verwaltungsabläufe ganzheitlich zu betrachten und damit den Gesamtprozess zu hinterfragen. Denn: Das Thema Prozessmanagement und seine Bedeutung für die Digitalisierung ist lange unterschätzt worden. Peter Adelskamp: „Dafür stärken wir gemeinsam mit der städtischen Organisationsabteilung die Prozessmanagementkompetenzen in den Fachbereichen.“

In einer Prozessmanagementplattform (auf Basis von PICTURE) sind mittlerweile Prozesssteckbriefe für über 1000 Prozesse erfasst und qualitätsgesichert.

Screenshot mit Ausschnitt aus dem Prozessdashboard in PICTURE. Zu sehen ist ein gestapeltes Säulendiagramm, das die Anzahl der erhobenen Prozesse je Reifegrad für die verschiedenen Organisationseinheiten anzeigt. Die Organisationseinheiten sind anonymisiert.

Anzahl und Reifegrad der erhobenen Prozesse je Organisationseinheit in PICTURE (Quelle: Stadt Essen)

Modulare Technik

Werkzeugkasten für die Gestaltung von Verwaltungsprozessen (Quelle: Stadt Essen)

Und dann noch ein weiterer Erfolgsfaktor auf technischer Ebene: Die Stadt Essen versucht nicht mehr „von Fachverfahren zu Fachverfahren“ zu denken, sondern die Voraussetzungen für eine modulare Technik zu schaffen, die in unterschiedlichen Bereichen einsetzbar ist. Dazu wurden bereits zahlreiche Basiskomponenten eingeführt. Etwa ein Serviceportal und Formularmanagement, ein Behördeninformationssystem als Datenbank, in der Dienstleistungen hinterlegt und verknüpft werden können, E-Payment (auch mit Paypal), ein zentrales Benutzerkonto (Servicekonto NRW, zukünftig BundID). Auf dieser Basis werden immer schneller neue Online-Dienste bereitgestellt, zuletzt Anträge für das Bürgergeld oder den Bewohnerparkausweis.

Der Werkzeugkasten für die Gestaltung von Verwaltungsprozessen ist als Schweizer Taschenmesser dargestellt.

Werkzeugkasten für die Gestaltung von Verwaltungsprozessen (Quelle: Stadt Essen)

OZG – was es gebracht hat und woran es hakt

Ein zentrales Thema der Digitalisierung ist natürlich auch in Essen die Umsetzung des OZG (der „Fahrplan“ unten veranschaulicht die Vorgehensweise). Das OZG verpflichtete Bund, Länder und Kommunen, bis Ende 2022 einen Katalog von 575 Verwaltungsleistungen auch digital anzubieten. 105 davon waren laut OZG-Dashboard bundesweit online (viele davon auf den letzten Metern im Rahmen eines OZG-Boosters mit der heißen Nadel gestrickt). Da die Umsetzung des Gesetzes somit „erfolgreich gescheitert“ ist, basteln Bund und Länder derzeit an einer Weiterentwicklung zum „OZG 2.0“, dem „OZG-Änderungsgesetz“.

OZG-Fahrplan der Stadt Essen ist als Linienplan einer Straßenbahn dargestellt.

OZG-Fahrplan der Stadt Essen (Quelle: Stadt Essen)

Was ist nun die kommunale Sicht auf das OZG?

Die Idee des OZG findet Peter Adelskamp prinzipiell gut. Er zählt die Vorteile auf:

  • Gesetzlicher Auftrag: „Viele Kommunen haben vieles umgesetzt in der Zeit. Der gesetzliche Auftrag hilft dabei, nötige Ressourcen zu begründen.“
  • Fokussierung: „Das OZG sagt: ‚Das sind die 575 wichtigen Prozesse‘, und auf Landesebene wurden diese weiter priorisiert für die Kommunen. Das hilft dabei, knappe Ressourcen zu fokussieren“.
  • Vergleichbarkeit: „Das OZG bietet – zumindest für einen Ausschnitt – eine Möglichkeit, den Stand der Digitalisierung zwischen den Kommunen zu vergleichen und gleiches gleich zu lösen. Das gibt weiteren Antrieb.“

Warum das OZG dennoch gescheitert ist? Die Liste der Haken und Ösen des OZG, die Peter Adelskamp aufzählt, ist lang – hier gespickt mit einigen Beispielen:

  • Fehlende Vereinheitlichung: „Es gibt in Deutschland kein gemeinsames E-Government. Es gibt 11.000 kommunale Internetseiten plus die von Land und Bund, die alle unterschiedlich aussehen und funktionieren. Es gibt kaum eine Leistung, die du in zwei Kommunen gleich oder ähnlich nutzen kannst“, so Peter Adelskamp. „Erst 2020/21 kam das Thema EfA-Leistungen auf („Einer für Alle“). Also: Lasst uns doch jeweils ein Haus bauen, das alle anderen nutzen können, statt jede Leistung in 11.000 Kommunen neu zu bauen. Leider funktioniert das an vielen Stellen nicht.“ Hierzu ein Beispiel:

„Für eine bundesweit einheitliche Leistung wurde ein Verfahren bereitgestellt, das gut funktioniert. Kommunen und Bürger:innen konnten sich aber bei Problemen an keinen Support wenden. Die Betriebs- und Folgekosten blieben bis zuletzt unklar. Die Gestaltung war sehr neutral und man konnte nicht erkennen, dass hier eine Behörde handelt. Es wurde ein Landesservicekonto angebunden, das in 15 anderen Ländern nicht genutzt wird und dort unbekannt ist. Bürger:innen müssen sich jedes Mal neu orientieren und dabei zig Servicekonten und Postfächer im Blick haben. Würde man bei Amazon so arbeiten, wären sie pleite.“

Holz-Labyrinth-Kugelspiel. Eine Kugel muss in dem Labyrinth an Löchern vorbei zum Ziel manövriert werden.

Verirrt im Prozess-Labyrinth… (Bild: Alexas_Fotos- pixabay.com)

  • Fehlende Ende-zu-Ende-Digitalisierung: „Das OZG befasst sich nicht mit der Digitalisierung, sondern mit der Elektrifizierung von Papierformularen. Was wir aber brauchen, ist eine durchgehende Digitalisierung von Prozessen vom digitalen Antragseingang über eine digitale Bearbeitung bis zum digitalen Bescheid. Und das über föderale Grenzen hinweg.“
  • Fehlende Zieldiskussion: „Was wollen wir eigentlich erreichen? Wo wollen wir hin in einer guten Endausbaustufe der Digitalisierung? Diese Zieldiskussion hat nie stattgefunden – zumindest nicht mit den Kommunen.“
  • Fehlende Einbindung der Kommunen: „Die Kommunen übernehmen 80-90 % aller Bürgerservices. Das heißt: Wir müssen ausbaden, was man sich in Bund und Ländern überlegt. Aber wir waren nicht Teil der Überlegungen, wie man’s realisieren kann. Die Kommunen saßen bei der Entwicklung und sitzen auch bei der Weiterentwicklung des Gesetzes nur am Katzentisch. Im IT-Planungsrat sind wir nur indirekt über die kommunalen Verbände vertreten.“
  • Politische Motivation führt zu Schnellschüssen: „Die politische Motivation ist auch ein Problem des OZG: Hauptsache eine digitale Fassade – der Rest ist wurscht und gibt sich schon irgendwie. Aber das funktioniert nicht. Denn: Unsere Aufwände steigen immer weiter, aber wir bekommen keine Entlastung durch bessere und automatisierte Prozesse“. Hierzu nennt Peter Adelskamp ein Beispiel, das die Misere so wunderbar veranschaulicht:

„Wir hatten eine gute Lösung für die Gewerbeanmeldung im Einsatz. Mit einer komfortablen Online-Schnittstelle und einem gut funktionierenden Fachverfahren im Hintergrund. Bis das Land auf die Idee kam, ein Unternehmensserviceportal an den Start zu bringen. Man hat nur leider vergessen, dass es hierfür Schnittstellen zu den Kommunen braucht. Das bedeutete für uns: Jeder Antrag, der über das Landesportal reinkam, landete in einem Ticketsystem. Die Sachbearbeitung erhielt dazu eine E-Mail-Benachrichtigung. Sie musste sich dann beim Unternehmensportal einloggen, die Anträge herunterladen und in das Fachverfahren eintippen (!).Wenn die Antragstellenden die Gebühr nicht bezahlt haben, musste man manuell Sollstellung, Mahnung und Beitreibung auf die Piste bringen und konnte nicht unsere interne Automatisierung nutzen. Das erzeugte bei uns den fünffachen Aufwand.

So etwas macht man einmal – und dann kommen die gleichen Kollegen und Kolleginnen und sagen: ‚Bleib mir bloß vom Hals mit Landeslösungen!‘. Wir merken: Die Akzeptanz schwindet zunehmend, wenn die Lösungen nicht gut ist.

Mittlerweile gibt es Schnittstellen, man kann den Datensatz als XML-Datei ins Fachverfahren importieren. Aber das hat Monate gedauert, bis die Kommunen bei diesem Thema erhört wurden.

Die Kommunen müssen mitgedacht werden – von Anfang an. Und nicht: Wir hauen mal ein Portal raus, das man politisch gut verkaufen kann. Und die Kommunen müssen schauen, wie sie damit klarkommen. Das ist unbedacht und das funktioniert so nicht. Das ist nicht die Qualität, die wir brauchen, um unsere Arbeit hier vor Ort ordentlich zu machen!“

Ein Schreibtisch mit Aktenbergen und zahlreichen leeren Kaffeetassen. Hinter einem Aktenstapel streckt sich ein Arm hilfesuchend in die Höhe - die Person ist offensichtlich dahinter versunken.

Bild: stokkete – stock.adobe.com

Was bringt das OZG 2.0? Forderungen der Kommunen

Anfang 2023 hat das BMI einen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des OZG vorgelegt. Zur Freude von Peter Adelskamp gehen fast alle Stellungnahmen dazu aus dem kommunalen Bereich in die gleiche Richtung: „Der Entwurf hat viel Positives und geht an vielen Stellen in die richtige Richtung. Es stehen zum ersten Mal Serviceziele drin. Der Schutz vor der übereilten Abgabe von Anträgen. Ein Eingangsnachweis und die Möglichkeit, die abgeschickten Daten einzusehen und herunterzuladen. Die Einsehbarkeit des Bearbeitungsstandes. Die 16 Bürgerkonten der Länder sollen für das eine Bundes-Bürgerkonto, BundID, zurückgenommen werden. Die Einführung von Unternehmenskonten. Und so weiter.“

ABER: „Das für uns Wichtigste steht nicht drin:

  • die bereits erwähnte Ende-zu-Ende-Digitalisierung,
  • ein klares Zielbild, wo wir eigentlich hinwollen mit der Digitalisierung in Deutschland und wie wir uns dorthin entwickeln,
  • ein Finanzierungsmodell, mit dem die Kommunen bei der Umsetzung unterstützt werden.“

Welche Ideen haben Kommunen für eine Weiterentwicklung des OZG und was fordern sie? Ein Vortrag beim Fachkongress des IT-Planungsrates 2021 – an dem auch Peter Adelskamp beteiligt war –  hat viel Aufmerksamkeit erregt: „Kommunalverwaltung weiterdenken. Perspektiven über das OZG hinaus“. Hier stellten Vertreter:innen der Städte Essen, Köln, Leipzig, München und Freiburg und des Deutschen Städtetags gemeinsam die „Dresdner Forderungen“ auf und formulierten damit einen Weg zu einer modernen, digitalen Verwaltung aus Sicht der Kommunen.

Die Forderungen im Einzelnen:

Verringerung der Komplexität

Nichts bringt die komplexen Strukturen des OZG-Umsetzung so gut auf den Punkt wie das „Wimmelbild“ des Normenkontrollrats:

Das „Wimmelbild“ der komplexen Strukturen der OZG-Umsetzung verdient seinen Namen zu Recht. Zu sehen ist eine kleinteilige und komplizierte Grafik mit unzähligen Zuständigkeiten, die miteinander verworren sind.

„Wimmelbild“ der komplexen Strukturen der OZG-Umsetzung (Quelle: Normenkontrollrat)

Die Forderungen der Kommunen dazu:

  • „Komplexität der Zuständigkeiten im föderalen System mit der zunehmenden Digitalisierung der Prozesse und der Nutzung durch Bürger*innen und Unternehmen verringern
  • Neue Wege der Zusammenarbeit und der Aufgabenverteilung zwischen Kommunen, Ländern und Bund zur ebenenübergreifenden Modernisierung des Staates beschreiten
  • Rückgabe von digitalisierbaren Pflichtaufgaben an die Herausgeberebene – Vollzug folgt der Gesetzgebung“

Stärkung der Digitalen Daseinsvorsorge ermöglichen

Frau und einem Mann gegenüber und erläutert Unterlagen, die sie in der Hand hält.

Stärke der Kommunen: Beratung von Mensch zu Mensch Bild: contrastwerkstatt – stock.adobe.com)

Die Kommunen sollten sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren können: Auf ureigenste kommunale Aufgaben (Soziales, Kultur, Sport, bürgerschaftliche Beteiligung). Auf persönliche Beratungsleistungen für Bürger:innen und Unternehmen. Auf die Stärkung demokratischer Prozesse.

 

Zentrale IT-Verfahren und Prozesse für zentrale Aufgaben

Hier geht es zunächst um die Forderung, für zentrale Aufgaben zentrale IT-Verfahren zur Verfügung zu stellen („OneStopShop“). Aber auch darum, Fragen von Schnittstellen, Datenschutz und Sicherheit an einer Stelle und einheitlich zu klären.

Peter Adelskamp führt aus, dass man noch einen Schritt weiter gehen und Abläufe, Zuständigkeiten und die Aufbauorganisation hinterfragen könnte: “Dazu gehört auch, zu überlegen, ob man z.B. für Bundesaufgaben nicht besser zentrale Backofficestrukturen einrichten kann – und bestehende Gesetzgebung hinterfragt, damit so etwas möglich wird“.  Hier sein sehr anschauliches Beispiel:

„Bei der KFZ-Zulassung hat der Bund eine Bundesaufgabe an die Kreise und kreisfreien Städte übertragen. Wir haben in Deutschland 400 Zulassungsstellen, die 400 mal ein Fachverfahren ausschreiben, einkaufen, einführen und weiterentwickeln. Das dauert jeweils etwa 18 Monate. Das heißt: Etwa alle 6-7 Jahre betreiben wir bundesweit einen Aufwand von 600 Jahren. Alles für die gleiche Bundesleistung. Das ist doch verrückt! Man könnte nun auch auf die Idee kommen, dass digitale Anträge von überall aus bearbeitet werden können und damit auch von der ursprünglich zuständigen föderalen Ebene. So ließen sich Synergien durch ein zentrales Backoffice schaffen und Freiräume für die Kommunen. Diese Freiräume brauchen wir, damit wir bei zunehmenden Aufgaben unsere wichtigsten Funktionen wahrnehmen können: Daseinsvorsorge und ein persönlicher Kontakt von Mensch zu Mensch.

Ein riesiger Fortschritt wäre es auch, wenn der Aufgabenträger, bei Kfz-Themen der Bund, den Kommunen direkt das richtige Werkzeug mitliefert, damit sie damit ihre Arbeit gut und einfach erledigen können. Wir haben genug mit den Aufgaben zu tun, die unsere eigenen sind und zu denen wir individuelle Lösungen brauchen.“

OZG als Treiber für durchgängige Verwaltungsdigitalisierung nutzen

Hier geht es um die oben bereits erwähnte Ende-zu-Ende-Digitalisierung. Also nicht nur eine Konzentration auf das Frontend. „Das sollte die Regel sein, ist heute aber leider nur die Ausnahme. Dabei ist das genau das, was wir brauchen!“, so Peter Adelskamp.

Nutzer:innen weiter in den Mittelpunkt stellen

Digitale Verwaltungsdienstleistungen müssen einfach in der Nutzung und barrierefrei sein.

Auch hierzu hat Peter Adelskamp ein Beispiel in petto:

„In Coronazeiten galt eine Experimentierklausel – so konnte die Online-Außerbetriebsetzung für Fahrzeuge mit einem deutlich vereinfachten Authentisierungsverfahren genutzt werden. Die Nutzung wurde einfacher, die Nutzungszahlen stiegen. Nach der Pandemie lief die Klausel aus, das Verfahren wurde wieder komplizierter, die Nutzungszahlen sinken. Wenn es zwei Jahre ging, ohne dass die Welt untergegangen ist – warum können wir das dann nicht so weitermachen?“

Ein Mann steht vor einer Wand. Auf die Wand ist ein Labyrinth gemalt, das in der Mitte geteilt ist. Ein roter Pfeil weist durch die Schneise und zeigt so einen einfachen Weg durch das Labyrinth auf.

Bild: Song_about_summer – stock.adobe.com

Verrückt werden hilft nicht

Peter Adelskamps Interpretation von Munks "Der Schrei" - mit dem er einen kreativen Mitarbeiter-Wettbewerb gewonnen hat. Zu sehen ist Peter Adelskamp, der die Poste und Mimik des Schreis imitiert. Im Hintergrund eine selbstgemalte Landschaft mit einem Fluss und einer Brücke mit zwei Personen.

Bild: Peter Adelskamp

Wie schafft man es, nicht wahnsinnig zu werden an der Aufgabe, die Digitalisierung in einer Großstadt in Deutschland voranzubringen? Die augenzwinkernde Antwort: „Wer sagt, dass das noch nicht passiert ist?“. Und die ernsthafte: „Wenn ich nicht sehen würde, dass wir uns an vielen Stellen in eine positive Richtung entwickeln, wäre ich vielleicht tatsächlich schon irre geworden. Manchmal fragt man sich: Was passiert hier? Wir ziehen wie verrückt an einem Pendel, aber es schlägt immer wieder zurück. Aber es geht voran. Das Feedback aus dem Stadtrat und aus anderen Kommunen zu unserer Digitalstrategie ist sehr positiv.

Die Fachbereiche haben in den letzten Jahren schon zahlreiche Maßnahmen angestoßen, die auf die Strategie einzahlen. Viele neue Vorhaben sind in der Planung und wir werden immer besser. Auf die Entwicklung können wir auch stolz sein.“

Abschließend fragen wir nach dem wesentlichen Antrieb: „Wir sind gut vernetzt und bringen die Digitalisierung voran. Nicht nur für die Stadt Essen – wir gestalten auch in NRW und auf Bundesebene mit. Immer mit der Frage: Wie kriegen wir das Thema Digitalisierung in Deutschland besser entwickelt? Das ist ja der Hauptgrund für viele Menschen, in die Verwaltung zu gehen: Sie wollen dazu beitragen, dass sich die Stadt mit ihrem Zutun positiv entwickelt. Und das können sie hier.“

Und als Essenerinnen sind wir auch ein bisschen stolz darauf, dass die Digitalisierer:innen in unserer Stadt mit dieser Haltung und Power unterwegs sind! 🙂

1 Kommentare

  1. Jürgen Brings sagt:

    Sehr schöner Beitrag und Gruß nach Essen. Wir Deutschen sind leider gerne kompliziert und stehen uns oft selbst im Weg. Warum bspw. bringen wir kleine gelbe Schilder an Pferde an, die wir sowieso nicht kontrollieren können? Benötigen wir wirklich ortsbezogene Kfz-Schilder (Datenschutz :-P) mit fein säuberlichen aufgeklebten Plaketten, die wir dem Kunden per Post zusenden? Fischereischein auf dokumentenechtem Papier mit einem Uraltfoto, während mir Angler aktuell erzählen, dass das in Holland nicht notwendig ist und in NRW gar nicht kontrolliert wird? Warum muss mein blinder Vater nach Feststellung des GdB überhaupt den „blauen Parkausweis“ bei einer anderen Stelle beantragen? Warum wird der nicht direkt mit ausgestellt?? Die Parlamente sollten zunächst die Sinnhaftigkeit aller Leistungen in Frage stellen, die Gesetze (und damit die Prozesse bzw. Rahmenbedingungen) ändern, damit die richtigen (!) Experten sinnhafte und gute Abläufe digitalisieren können. Und das möglichst fix, da immer mehr Stellen in der öV nicht adäquat besetzt werden können (es ist 5 nach 12). Ich bin wirklich gespannt, was D aus 5 Jahren OZG gelernt hat.

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