„Workflow rockt, E-Mail blockt!“ – Der Rhein-Kreis Neuss gibt Tipps für die Einführung der E-Akte

Eine rote Postkarte des Rhein-Kreis Neuss mit dem Aufdruck „Workflow rockt - E-Mail blockt!“

Beim Thema Digitalisierung spricht alle Welt von KI – und wir kommen mit einem Beitrag über die E-Akte um die Ecke?! Doch KI hin oder her: Seit Jahren stellen wir Führungskräften aus Kommunalverwaltungen dieselbe Frage: „Welches Digitalisierungsthema beschäftigt Sie aktuell am meisten?“. Nach wie vor ist die mit Abstand häufigste Antwort: Die Einführung der E-Akte.

Das Thema ist nicht sexy. Niemand stellt sich auf die politische Bühne und feiert sich dafür, Papierakten abgeschafft zu haben. Das Thema ist längst überfällig und wirkt aus der Zeit gefallen. Auf den ersten Blick geht es um schnödes bürokratisches Handwerkszeug. Um ein digitales Abbild der alten Verwaltungswelt. Um scheinbar verstaubte Prinzipien wie eine „ordnungsgemäße Aktenführung“.

Aber: Die E-Akte ist nichts weniger als die Basis und ein zentraler Hebel für die Verwaltungsdigitalisierung. Und sie ist noch lange nicht in allen Bereichen der Verwaltung angekommen.

Und deshalb schreiben wir nun einen Beitrag zur Einführung der E-Akte und eines Dokumentenmanagementsystems (hier: d.3 webbasiert). Dazu haben wir uns an die gewandt, die’s draufhaben: Die Stabsstelle Digitalisierung des Rhein-Kreis Neuss nutzt eine agile und nutzerzentrierte Vorgehensweise und zeigt hier gemeinsam mit der Abteilung für Allgemeine Ordnungsangelegenheiten, dass das alles gar nicht so schwierig ist, wenn die Führung mitspielt.

Ein Raum mit hohen Aktenregalen links und rechts. In den Regalen zahlreiche Aktenordner. Der Raum wirkt dunkel und ungemütlich.

Vorher: Das frühere Schwerbehindertenarchiv des Rhein-Kreis Neuss. Bild: Rhein-Kreis Neuss

Ein Überblick über den Beitrag:

  • Wir starten mit dem Wozu: Was ist der Sinn und Nutzen der E-Akte?
  • Im zweiten Teil beschreiben wir die agile Vorgehensweise des Rhein-Kreis Neuss zur Einführung der E-Akte.
  • Und schließlich geht es um zentrale Erfolgsfaktoren, die auch auf andere Digitalisierungsvorhaben übertragbar sind (Spoiler: dass Führungskräfte hier mit guten Beispiel vorangehen, steht nicht umsonst an erster Stelle).
Zu sehen sind die Interviewpartner:innen, die im Digitallabor um einen Stehtisch herum stehen. Sie lächeln alle fröhlich und strecken ihre Daumen hoch.

Unsere Interviewpartner:innen (von links): Maike Hauswald-Textoris, Christoph Winkler, Jürgen Brings, Marc Hammen, Jannik Jatzkowski. Bild: Rhein-Kreis Neuss

Vorab ein herzliches Dankeschön an unsere Interviewpartner:innen vom Rhein-Kreis Neuss, die freigiebig ihr Wissen und ihre Erfahrungen teilen!
Maike Hauswald-Textoris (Abteilungsleitung Allgemeine Ordnungsangelegenheiten)
Christoph Winkler (Sachbearbeiter im Ordnungsamt)
Jürgen Brings (CDO des Rhein-Kreis Neuss, Leiter der Stabsstelle Digitalisierung)
Jannik Jatzkowski (Stabsstelle Digitalisierung, organisatorische Projektleitung E-Akte)
Marc Hammen (Stabsstelle Digitalisierung, technische Projektleitung E-Akte)

Warum die E-Akte rockt

Zu sehen ist ein Schreibtisch voller Kaffeetassen und Akten. Dahinter Regale voller Aktenordner. Hinter dem Schreibtisch ist offenbar ein Mensch nach unten versunken. Zu sehen ist nur noch der nach oben ausgestreckte Arm mit gespreizten Fingern.

Bild: stokkete – stock.adobe.com

Die schonungslose Realität ist: In vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung wird nach wie vor mit Papierakten gearbeitet. In den Büros stehen Aktenschränke und haufenweise Ordner. Es gibt riesige Lagerräume und Archive mit unendlich vielen Seiten Papier, die vielleicht noch einmal benötigt werden. Wehe dem, der etwas nicht korrekt abgeheftet hat… Jannik Jatzkowski erinnert sich an seine frühere Arbeit in einem großen Amt: „Vor der Einführung der E-Akte kam es schon vor, dass wir Tage damit verbracht haben, mit mehreren Leuten 70.000 Akten zu durchsuchen.“

Foto einer alten Umlaufmappe.

Die Umlaufmappe – nach wie vor allge-genwärtig in Verwaltungen. Bild: Wikimedia Commons

Als zu Corona-Zeiten plötzlich viele ins Homeoffice mussten, wurden in den meisten Verwaltungen haufenweise Akten mit dem Rollköfferchen nach Hause transportiert, obwohl das rechtlich brisant ist. Heute würde das offiziell natürlich niemand mehr tun (zwinker, zwinker).

Müssen andere Beteiligte einen Vorgang „mitzeichnen“, wird die gute alte Umlaufmappe auf den Weg geschickt. Christoph Winkler kennt die Folgen: „Es ist schon häufiger vorgekommen, dass die im Bescheid aufgeführten Fristen verstrichen sind, bis die Umlaufmappe ihren Weg zurück gefunden hat.“

Keine Frage: Die E-Akte ist längst überfällig. Sie macht Räume frei, die in vielen Verwaltungen Mangelware sind. Beispiel Digitallabor: „Da, wo wir jetzt sitzen, standen früher die Schwerbehindertenakten [s. Foto oben]. Die sind wegdigitalisiert worden, und jetzt haben wir hier super Büroräume“, erwähnt Jürgen Brings und zeigt dabei stolz auf den offenen Dachgeschossraum, den das IT- und Baudezernat zu einer modernen Arbeitslandschaft umfunktioniert hat.

Das vorige Aktenarchiv nun als umgestalteter Raum. Zu sehen ist ein heller luftiger Sptzbodenraum mit einer modernen Bürolandschaft. In der Mitte ein Tisch mit grün bezogenen Stehhockern. Links und rechts davon Schreibtische. Schränke sind nicht zu sehen - offenbar wird hier papierlos gearbeitet.

Nachher: Das Digitallabor des Rhein-Kreis Neuss. Bild: Andreas Baum / Rhein-Kreis Neuss

E-Akten zu finden und zu durchsuchen dauert nur einige Sekunden. Sie stehen für unterschiedliche Personen an unterschiedlichen Orten zur Verfügung – auch im Homeoffice. Sie lassen sich per Knopfdruck (aka elektronischer Workflow) durch die Instanzen schicken. Der Schritt, E-Akten in Workflows einzubinden, ist gleichzeitig eine gute Gelegenheit, um Prozesse besser zu verstehen und zu optimieren.

Zu sehen ist das blaue Cover eines Heftchens „Einführung in die (digitale) Aktenführung“. Anhand des Logos ist erkennbar, dass Herausgeber der Rhein-Kreis Neuss ist.

Heftchen zu Grundlagen der Aktenführung aus der Reihe „Wissen auf DIN A6“. Bild: Rhein-Kreis Neuss

Die E-Akte schafft somit eine wichtige technische und organisatorische Basis für die digitale Transformation. Aber sie kann noch mehr: Sie erleichtert den Menschen den Einstieg in die Digitalisierung, wie Maike Hauswald-Textoris beschreibt: „Die E-Akte ist greifbar für die Leute. Mit ihr kann ich leicht Analogien herstellen zu meiner bisherigen Arbeitsweise.“ Und sie sind eine gute Gelegenheit, um gute Aktenführung und einen strukturierten Umgang mit Daten (wieder) zu erlernen. „Wer die für selbstverständlich hält, sollte mal mit den Archivaren seiner Verwaltung sprechen“, so Jürgen Brings. „Denn die baden es aktuell noch aus, wenn zum Beispiel Mails, in denen nicht viel drinsteht, trotzdem ausgedruckt werden – samt 17 Seiten mit Adressen.“

Und Jannik Jatzkowski geht noch weiter: „Wenn wir die Einführung der E-Akte zügig durchziehen, hilft uns das, den demografischen Wandel gut zu bewältigen – indem wir Leute gewinnen, bei uns zu arbeiten, weil wir vielleicht ein, zwei Schritte weiter sind als andere Behörden.“

Vorgehensweise zur Einführung der E-Akte

Wie geht der Rhein-Kreis Neuss nun konkret vor im Projekt „E-Akte“?

Gemeinsames Zielbild entwickeln

Am Anfang steht das Warum & Wozu. „Wir führen die E-Akte ein“ – doch was ist damit gemeint? Schnell werden hier falsche Erwartungen geweckt – der eine denkt an das reine Einscannen von Akten im eigenen Arbeitsbereich, die andere an eine papierlose Verwaltung, in der Vorgänge nur noch über automatisierte Workflows abgewickelt werden.

Die Digitalisierung von Akten und Prozessen kann getrost als Daueraufgabe für die nächsten Jahre oder vielmehr Jahrzehnte betrachtet werden. Ein Projekt „Einführung der E-Akte“ sollte aber ein absehbares Ende haben, und es braucht ein gemeinsames Verständnis davon, was „fertig“ heißt. Gefragt ist also eine klare Zieldefinition.

Beim Rhein-Kreis Neuss lautet sie wie folgt:

Folie zu den Zielen des E-Akte-Projektes.Der Inhalt: Wie lauten die gemeinsamen Ziele?Bis 2028 haben alle Fachbereiche- Zugriffauf das DMS- eine lückenlose Strukturablage nach Aktenplan- Rechtekonzept(2 bis 3 Ebenen)- mindestens einen Kernprozessals integrierten Workflow (Sachakten)- nach Möglichkeit mind. eine integrierte Dokumentenvorlage- Anbindung an die vorhandenen Multifunktionsgeräte- einen «DMS+ Experten» als Multiplikator im Fachbereich- Zugriff auf zentrale Schulungsunterlagen

Ziele des Projektes E-Akte. Folie: Rhein-Kreis Neuss

Im Zuge der Zieldefinition kann es hilfreich sein, die Tiefe und Breite des E-Akten-Einsatzes abzustecken und ein geeignetes Stufenkonzept zu entwickeln:

  • Tiefe des Einsatzes: Geht es „nur“ darum, Papierakten zu scannen und digital verfügbar zu machen? Oder sollen die Inhalte auch maschinenlesbar und bearbeitbar sein? Geht es gar darum, sie in automatisierte Workflows einzubinden?
  • Breite des Einsatzes: Soll die E-Akte zunächst nur in einzelnen Fachämtern eingesetzt werden? Oder soll fachbereichsübergreifend darauf zugegriffen werden? Bis wann soll sie verwaltungsweit eingesetzt werden? An welchen Stellen sollen vielleicht sogar E-Akten behördenübergreifend ausgetauscht werden?

Mit den Willigen starten

Der Rhein-Kreis Neuss hat sich dafür entschieden, die E-Akte sequenziell und organisationsorientiert, also Amt für Amt einzuführen. Zunächst lag nahe, mit den Querschnittsbereichen zu beginnen. „Die Überlegung war: Wenn deren Prozesse digital laufen, dann motiviert das alle anderen“, so Jürgen Brings. Letztlich fiel jedoch die Entscheidung, über einen Online-Fragebogen auszuloten, in welchem Organisationsbereich der größte Mehrwert und die höchste Bereitschaft lag, sich auf das Projekt einzulassen. Eine der ersten, die laut „Hier!“ riefen, war Maike Hauswald-Textoris von der Abteilung für Allgemeine Ordnungsangelegenheiten.

Foie zu verschiedenen Einführungsstrategien:-flächendeckend - sequenziell, wiederum unterteilt in: prozessorientiert, organisationsorientiert und anwendungsorientiert

Übersicht über verschiedene Einführungsstrategien. Folie: Rhein-Kreis Neuss

Die Strategie, mit den Willigen zu starten, bietet die Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen Erfahrungen zu sammeln – mit Leuten, die nicht gleich verschreckt sind, wenn das System noch einige Kinderkrankheiten mitbringt. Jürgen Brings: „Wir sind einer der ersten Kunden auf kommunaler Ebene, die das neue webbasierte DMS-System von d.3 nutzen. Daher war uns klar, dass wir anfangs noch mit Fehlern leben müssen.“

Wenn motivierte Pilotbereiche (wie der von Maike Hauswald-Textoris) dem Projekt Dampf machen, entstehen zudem zügig erste Leuchttürme, die anderen zeigen, wie’s gehen kann.

Zu sehen ist das orangene Cover eines Heftchens „Einführung der E-Akte mit der Methode Scrum Lite“. Anhand des Logos ist erkennbar, dass Herausgeber der Rhein-Kreis Neuss ist.

Heftchen zu Grundlagen der Aktenführung aus der Reihe „Wissen auf DIN A6“. Bild: Rhein-Kreis Neuss

Agile Vorgehensweise

Nachdem die Einführung der E-Akte in den Vorjahren nicht recht in die Gänge kam, setzte Jürgen Brings mit seinem Team das Thema systematisch als Projekt auf und heckte dafür eine agile Vorgehensweise aus. Marc Hammen erläutert: „Die Idee war ursprünglich, den Leuten die Scrum-Methodik im Rahmen der E-Akten-Einführung recht umfassend zu vermitteln, so dass sie die Methode später auch in eigenen Projekten einsetzen können. Wir haben dann aber gemerkt, dass es dafür mehr Zeit bräuchte, und haben die Methode daher etwas abgespeckt zu ‚Scrum Lite‘.“

 

Hinweis: Damit dieser Beitrag nicht ausufert, verzichten wir hier auf eine Einführung in das agile Projektmanagement mit Scrum und setzen die entsprechenden Begrifflichkeiten voraus. Wer damit noch nicht vertraut ist, findet in unserem Blog eine Scrum-Einführung und ein praktisches Beispiel für die Anwendung von Scrum in der Verwaltung. 

Folie zum Vorgehensmodell. Das Vorgehen ist grafisch dargestellt. Woche 1: Einführung - Thema & Methode Woche 2: Vorbereitung - Projektplanung Woche 3: Sprint planen und machen Woche 4: Back-to-work - ausprobieren Woiche 3 und 4 wiederholen sich mehrfach. Woche 13: Abnahme Gesamtprojekt

Ablauf zur Einführung der E-Akte in einem Fachamt. Folie: Rhein-Kreis Neuss

Und so geht der Rhein-KreisNeuss bei der Einführung der E-Akte in einem Fachamt konkret vor:

  • Im Rahmen eines Kickoff- und eines Input-Workshops wird das Fachamt in die Vorgehensweise, in Grundlagen der Aktenführung und in das DMS d.3 eingeführt.
  • Nach vorbereitenden Tätigkeiten der Stabsstelle Digitalisierung erfolgt die Umsetzung im Rahmen wöchentlicher Sprints.
  • Zu Beginn werden gemeinsam mit der Führungskraft in einem Backlog die Sachverhalte gesammelt, die als E-Akte abgelegt werden sollen.
  • Gemeinsam mit den Mitarbeitenden, die die entsprechenden Sachverhalte bearbeiten, werden diese im DMS abgebildet: Wohin gehört das im Aktenplan? Wo finden wir das in d.3? Wie benennen wir die Akten, Vorgänge und Dokumente? Welche Rollen und Berechtigungen vergeben wir?
  • Am Ende einer Woche steht immer ein fertiges Produkt: eine E-Akte, mit der das Amt arbeiten kann. „Wir gehen da nicht raus, ohne dass es funktioniert“, so Marc Hammen.
  • Die Ergebnisse werden im Rahmen eines Reviews dem gesamten Fachamt vorgestellt. Das Projektteam reflektiert anschließend in einer Retrospektive die Arbeitsweise und entwickelt sie kontinuierlich weiter.
  • Nach der Woche geht das Fachamt wieder dem Tagesgeschäft nach („back-to-work“) und kann dabei direkt mit dem System arbeiten. „Und praktisch mussten sie das dann auch“, so Maike Hauswald-Textoris. „Wir haben einen Stichtag x vereinbart, ab dem alles, was neu reinkommt, direkt digital bearbeitet wird.“
  • Aus der praktischen Erfahrung heraus werden dann sukzessive Verbesserungen
Folie, die den Sprint-Ablauf am Beispiel der Woche 3 darstellt. Vorwoche: Product Backlog Woche 3: Sprint Planning Sprint Execution Sprint Review Sprint Retrospective

Ablauf eines Sprints bei der Einführung der E-Akte in einem Fachamt. Folie: Rhein-Kreis Neuss

Wir fragen uns: Wie funktioniert diese Taktung für die Fachämter – die parallel zur Einführung der E-Akte auch noch ihr Tagesgeschäft bewältigen müssen? „Der Anfangsaufwand schreckt tatsächlich einige ab – ich muss ja zunächst Arbeit investieren, bevor ich später die Erleichterung bemerke“, beschreibt Christoph Winkler seine Erfahrungen. „Uns jedoch kam das Vorgehen zugute, weil wir die Umstellung zügig durchziehen wollten, um auch schneller von der Arbeitserleichterung zu profitieren.“

Hier zeigt sich auch der Erfolgsfaktor Führung, auf den wir gleich noch eingehen. Maike Hauswald-Textoris: „Ich habe als Abteilungsleitung eigentlich auch keine Zeit dafür, mich eine Woche für das Thema rauszuziehen. Aber irgendwie muss es ja vorangehen bei der Digitalisierung, daher setze ich entsprechende Prioritäten.“

Von der E-Akte zum Workflow

Wo steht das Gesamtprojekt aktuell? Mittlerweile hat der Rhein-Kreis Neuss etwa die Hälfte der Fachämter an das DMS-System angebunden. „Wir sind schneller geworden, haben mittlerweile Routine und ein gutes Gespür dafür, wo die Probleme in den verschiedenen Bereichen liegen“, so Marc Hammen. Jürgen Brings ergänzt: „Anders als in IT-Projekten üblich, liegen wir noch vor der Zeit. Das geplante Projektende konnten wir mittlerweile von 2028 auf 2027 vorziehen.“

Den aktuellen Stand des Projektes beschreibt Jannik Jatzkowski so: „Wir haben uns zunächst damit befasst: Wie kann ich Akten in den digitalen Schrank stellen? Dieses Hauptfeld ist nun bestellt und wir fangen an, es zu düngen, also weiterzudenken: Wie können wir diese digitalen Akten gut nutzen? Das heißt, Workflows einrichten, so dass wir keine verstaubten Umlaufmappen und keine Unterschriften mehr auf dem Papier benötigen. Und ich bei einer Rückfrage jederzeit per Knopfdruck einsehen kann, bei wem die Akte gerade zur Bearbeitung liegt und wie lange es wohl noch dauern wird.“

Und er ergänzt, was für ihn besonders wichtig ist: „Die Fachämter verstehen zunehmend die Vorteile. Immer mehr Leute kommen auf uns zu und wollen ebenfalls die E-Akte einführen.“

Erfolgsfaktoren

Die Erfolgsfaktoren, die sich beim Rhein-Kreis Neuss über die Zeit herauskristallisiert haben, lassen sich aus unserer Sicht auch gut auf andere Digitalisierungsvorhaben übertragen:

Erfolgsfaktor 1: Führung, die Veränderung vorlebt und einfordert

Zu sehen sind Origamiboote. Ein rotes Boot fährt voran, vier blaue hinterher.

Bild: Miguel Á. Padriñán – pexels.com

Es kann nicht oft genug betont werden: Für den Erfolg eines hausweiten Veränderungsprojektes wie die Einführung der E-Akte ist es entscheidend, dass die Verwaltungsleitung 100%ig hinter dem Projekt steht. Das heißt konkret: Dass sie erstens mit gutem Beispiel vorangeht und zweitens die Veränderung konsequent einfordert.

Ohne eine solche Rückendeckung sendet die Hausleitung gewollt oder ungewollt das Signal: „Ihr könnt das machen, müsst es aber nicht.“ Das bremst nicht nur das Vorhaben aus, sondern birgt die Gefahr, diejenigen zu frustrieren, die das Projekt dennoch treiben. Und das sind meist Leistungsträger:innen, die eine Verwaltung in Zeiten des Fachkräftemangels dringend an sich binden sollte.

Der Erfolgsfaktor Führung gilt genauso auch auf Ebene der Fachämter. Maike Hauswald-Textoris macht’s vor: „Hier sehe ich meine Aufgabe als Führung. Wenn die Führung die Digitalisierung nicht forciert, wird sich nichts tun. Dabei kann ich natürlich immer wieder sagen, wie hilfreich das DMS ist, und dazu animieren, es zu nutzen. Aber mir ist auch wichtig, als Beispiel voranzugehen. Ich bemühe mich, das System konsequent zu nutzen und halte meine Mitarbeitenden an, das ebenfalls zu tun. Dabei nutze ich zum Beispiel gern den Weg, Dokumente nur noch in d.3 abzulegen – etwa Protokolle zu Teambesprechungen – so dass die Leute gezwungen sind, das System zu nutzen.“

Nicht ohne Grund ist die Abteilung Allgemeine Ordnungsangelegenheiten zu einem Leuchtturm der E-Akten-Einführung geworden.

Erfolgsfaktor 2: Nutzer:innenzentrierung

Vier Arme, deren Fäuste sich in der Mitte treffen. Vermittelt Teamwork und Zusammenhalt.

Bild: StockSnap – pixabay.com

Jürgen Brings arbeitet in seinen Projekten immer unmittelbar mit denjenigen, die später mit dem Ergebnis leben müssen: „Wir sitzen in einem Sprint mit allen zusammen, die es braucht, um die E-Akte im Fachamt umzusetzen.“

Maike Hauswald-Textoris beschreibt dies für ihre Abteilung so: „Zu jedem Sachverhalt haben wir uns jeweils die Leute dazugeholt, die das entsprechende Rechtsgebiet bearbeiten. Sie haben erklärt, wie sie die Prozesse bisher abwickeln, und wir haben gemeinsam überlegt, wie es zukünftig digital laufen kann. Ich war als Führungskraft immer dabei, weil ich einen guten Überblick haben wollte. Aber meine Leute konnten sich ihr System selbst so bauen, wie sie meinten, dass sie gut damit arbeiten können.“

Auf diese Weise wird sichergestellt, dass das Ergebnis funktioniert und nützlich ist – und dann auch genutzt wird.

 Erfolgsfaktor 3: Pragmatischer Ansatz

Ein Multifunktionsgerät mit aufgeklapptem Scannerdeckel. Jemand legt gerade eine Seite auf den Scanner.

Pragmatisches Scannen von Akten. Bild: Rhein-Kreis Neuss.

Das pragmatische Vorgehen des RKN zeigt sich schön am Beispiel des ersetzenden Scannens: Mit der Einführung der E-Akte hat Maike Hauswald-Textoris mit ihren Mitarbeitenden vereinbart, dass bestehende Papierakten erhalten bleiben und neu eingehende Dokumente ab sofort digitalisiert werden. Das passiert zunächst mit Hilfe einfacher Multifunktionsgeräte an den Arbeitsplätzen. Es bleibt die Frage: Was machen wir mit dem Papier? Die Scans sind streng genommen nicht rechtssicher, und der Aufbau einer Digitalen Poststelle, die dies gewährleisten würde, ist noch nicht abgeschlossen.

„Oft wird die Rechtssicherheit als rote Karte gezogen und dient dann als Blocker, um weiterhin die Papierakte zu führen“, so Jürgen Brings. „Doch das muss nicht sein, denn in vielen Fällen entsteht dadurch gar kein Schaden.“ Die Stabsstelle Digitalisierung berät daher auch zum ersetzenden Scannen. „Wir haben dazu einige Leitfragen entwickelt, die bei der Risikoabwägung helfen. In einigen Fällen kann es gut vertretbar sein, einfach alles einzuscannen und zu entsorgen, in anderen Fällen bewahre ich ausgewählte Dokumente vielleicht sicherheitshalber auf für den Fall, dass es rechtliche Rückfragen gibt.“

Christoph Winkler liefert anhand seines Arbeitsbereiches ein praktisches Beispiel: „Mit Hilfe der Leitfragen habe ich mir angeschaut, welche Dokumente ich weiterhin in Papierform vorhalten sollte. Das sind bei mir im Wesentlichen Erlaubnisdokumente und Postzustellungsurkunden. Die hefte ich für den Fall der Fälle zusätzlich in Ordnern ab. Aber das ist vom Volumen her eben nur noch ein Bruchteil der früheren Akten. Und in der E-Akte habe ich dennoch alles digital im Zugriff.“

Erfolgsfaktor 4: Kommunikation

Werbematerial des Rhein-Kreis Neuss rund um dei E-Akte. Zu sehen sind Tassen, Postkarten, vier verschiedene Heftchen und eine Box mit Wissenskarten.

Giveaways rund um die E-Akte. Bild: Rhein-Kreis Neuss

„Die Betroffenen mitnehmen“, „Tue Gutes und rede darüber“ – dass Kommunikation in Veränderungsprozessen wichtig ist, ist den Beteiligten oft klar. Dennoch ist es nicht selten das Thema, das im Eifer des Projektgeschäfts hintenüberfällt. Zumal es oft an Leuten mit dem passenden Know-how und einem Händchen für Kommunikation fehlt.

Entsprechend beeindruckt uns, wie kreativ und vielseitig die Stabsstelle Digitalisierung die Kommunikation (nicht nur) im Projekt E-Akte angeht.

Ein Highlight, auf das sie besonders stolz sind: Eine Vielzahl selbstproduzierter Lernvideos „vom „Login in das System“ bis hin zu „Best Practices“ ermöglichen es Nutzer:innen, sich nach Bedarf in das System einzuarbeiten. „Die Videos legen wir im Lernmanagementsystem unseres Technologiezentrums Glehn ab. Hier können Lernpfade inklusive Vertiefungsquiz durchlaufen werden. Inzwischen gibt es eine große kommunale Nachfrage nach unseren Videos, da diese von der Praxis für die Praxis produziert sind. Darauf bin ich mächtig stolz, da wir hier absolutes Neuland betreten und erfolgreich umgesetzt haben“, so Jürgen Brings.

Weitere Kommunikationsmaßnahmen:

  • Regelmäßige Newsletter und Blog-Beiträge im Intranet transportieren Erfolgsgeschichten, Erfahrungen und Know-how ins Haus.
  • Bei Meetups im Lean Coffee-Format gibt es die Möglichkeit, sich über Herausforderungen und Fragen rund um die E-Akte auszutauschen.
  • Die Heftchen und Kartensets „Wissen auf DIN A6“ vermitteln kompakt wichtige Grundlagen rund um die E-Akte – und verweisen auf die passenden Lernvideos.
  • An motivierte Mitstreiter:innen werden Tassen und Postkarten verteilt, die wiederum andere auf das Projekt aufmerksam machen.

Erfolgsfaktor 5: Mut zur Lücke

Viele Digitalisierungsprojekte scheitern am eigenen Perfektionsanspruch. Der Stabsstelle Digitalisierung war wichtiger, zügig ins Projekt zu starten und Erfahrungen zu sammeln. Dabei ging sie von Anfang an offen mit den „Lücken“ des Projektes um:

Rolie „Wir müssen Wir müssen zunächst mit Lücken leben“ - nicht alle Mehrwerte einer «E-Akte» sind sofort umsetzbar - Zunächst nur Sach-Aktenund keineFall-Akten - Anbindung Fachverfahren ist 2. oder 3. Ausbaustufe- Medienbrüche können wir zunächst nicht vermeiden - Umgang mit Bestandsakten - insbesondere Alt-Akten- hybride Aktenführung ist in Teilbereichen nicht ausgeschlossen - Digitale Poststelle ist ein Parallel-Projekt der ZS 4.4

Lücken bei der E-Akten-Einführung. Folie: Rhein-Kreis Neuss

Erfolgsfaktor 6: Einfach (digital) machen

Solange Dinge zusätzlich auf dem Papier funktionieren, ist es gerade für weniger digital-affine Menschen schwierig, sich an das neue System zu gewöhnen. Der Griff zum Papier oder die gewohnte Mail mit Anhang erscheinen zunächst noch einfacher. Dann braucht es Leute, die konsequent immer wieder den digitalen Weg ins Spiel bringen – und das möglichst ohne Abbiege-Spur.

Eine blaue Postkarte des Rhein-Kreis Neuss. Darauf steht: durchgestrichen: Sollte durchgestrichen: Hätte durchgestrichen: Würde durchgestrichen: Könnte nicht durchgetrichen: Machen!

Bild: Rhein-Kreis Neuss

Maike Hauswald-Textoris bringt es so auf den Punkt: „Letztlich geht es um den Mut, es einfach zu machen und den Leuten am besten gar keine Wahl mehr zu lassen.“

So legt sie ihrem Amtsleiter mittlerweile keine Akte mehr in die Unterschriftenmappe (die bald auch durch den Workflow abgelöst wird). „Stattdessen füge ich einen Klebezettel mit Hinweis auf die Aktennummer in d.3 bei, unter der er die Unterlagen nachschlagen kann.“

Jannik Jatzkowski folgt dem Slogan „Workflow rockt, E-Mail blockt!“: „Statt Unterlagen per Mail zu verschicken, lege ich sie in einer E-Akte ab und schicke einfach einen Workflow los. Hätte ich sie als Mail verschickt, hätte sie jeder irgendwo bei sich abgelegt, denn man könnte sie ja irgendwann nochmal brauchen. So sind die Dokumente zentral für alle zugänglich und sortiert abgelegt.“

Der richtige Weg

Bei allem, was rund läuft, bringt ein solches Mammutprojekte wie die Einführung der E-Akte auch Frust mit sich. Weil interne Entscheidungsprozesse und Dienstleister nicht immer das Tempo mitgehen können, das man selbst vorlegt. Weil nicht alle so mitziehen wie die Abteilung für Allgemeine Ordnungsangelegenheiten. Weil man mit Lücken und Abhängigkeiten leben muss – auch wenn der eigene Anspruch es gern anders hätte.

Zu sehen ist ein Band mit gelben LED-Pfeilen, die alle in eine Richtung weisen.

Bild: Isaque Pereira – pexels.com

Daher fragen wir am Schluss unseres Gesprächs: Was motiviert euch und stimmt euch zuversichtlich? Die Antworten zeigen, dass es vor allem die Menschen sind, die mitziehen – und die Zuversicht, auf dem richtigen Weg zu sein:

  • „Mich motiviert, wenn ich die Namen Winkler oder Hauswald-Textoris höre. Das sind die kleinen Momente, bei denen ich meinen Jungs sage: Wir sind auf dem richtigen Weg. Ich bin da hoffnungsfroh. Es ist nur eine Frage der Zeit.“ (Jürgen Brings)
  • „Ich weiß, dass wir an vielen Stellen in der Verwaltung Leute haben, die mit uns zusammenarbeiten wollen, die dankbar sind und verstehen, dass die Digitalisierung notwendig ist. Und das motiviert mich total und hilft auszuhalten, dass es an einigen Stellen noch nicht so klappt, wie es könnte.“ (Jannik Jatzkowski)
  • „Ich bin froh und auch ein bisschen stolz, dass mein Team das so mitgeht. Das ist der einzige Weg, der zukünftig funktionieren kann. Wir hängen als Verwaltung ohnehin schon meilenweit hinterher.“ (Maike Hauswald-Textoris)
  • „Ich finde meine Dokumente viel schneller und effizienter – während ich früher manchmal lange auf dem Laufwerk T suchen musste. Das erleichtert meine Arbeit sehr.“ (Christoph Winkler)
  • „Mein Postfach war noch nie so leer, seitdem ich alle relevante Kommunikation direkt im E-Akten-System ablege und konsequent auf doppelte Datenhaltung verzichte.“ (Marc Hammen)

Wir sind sehr beeindruckt, wie professionell und nach allen Regeln der Kunst dieses hausweite Veränderungsprojekt in Neuss angepackt wird. Systematisch, nah an der Praxis und mit dem, was geht. Leute wie unsere Interviewpartner:innen sind ein echtes Pfund, das die Verwaltung zu bieten hat!

 

Begriffsklärungen: Was ist eigentlich…

  • … eine E-Akte? Eine Sammlung von Dokumenten und Informationen zu einem Sachverhalt oder einer Person, die digital verfügbar ist und verwaltet werden kann. Sie ist oft untergliedert in Vorgänge, die wiederum einzelne Dokumente enthalten.
  • … ein Dokumentenmanagementsystem (DMS)? Ein IT-System, in dem E-Akten verwaltet werden können. Oft beinhaltet es auch Möglichkeiten zur Abbildung von Workflows. Beispiele für in Verwaltungen eingesetzte DMS: 3, Fabasoft eGov-Suite, enaio.
  • … ein Workflow? Eine vordefinierte, automatisierte Abfolge von Schritten zur Verarbeitung, Überprüfung, Genehmigung und Verteilung von elektronischen Dokumenten und Vorgängen innerhalb einer Organisation. Vereinfacht gesagt steuert und überwacht ein Workflow den Weg eines digitalen Dokumentes durch verschiedene Zuständigkeiten innerhalb einer Verwaltung (oder auch zwischen Behörden)

2 Kommentare

  1. Peter Bauer sagt:

    Toller Artikel! Besonders spannend und gelungen finde ich die verschiedenen Einführungsstrategien. Die Möglichkeiten von DMSen und die Wichtigkeit, eine gute Einführungsstrategie zu verfolgen, wird m.E. gerne unterschätzt. DMS sind ziemlich teuer und die Einführung benötigt reichlich personelle Ressourcen. Schade, wenn das System nicht gut einführt und es am Ende wenig und ungerne benutzt wird.
    Frage: Gebt ihr die kleinen Hefte heraus? Eventuell im Rahmen des interkommunalen Erfahrungsaustauschs von Kommune zu Kommune?

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