Gemeinsam Digital für Sachsen-Anhalt – So geht Zusammenarbeit zwischen Land und Kommunen!

Projekttreffen im Zuge der ebenenübergreifenden Projektarbeit. Zu sehen sind Tobias Krüger und drei weitere Personen in einer kreativen Arbeitsumgebung. Bunte Möbel, buntes Arbeitsmaterial. Im Vordergrund ist ein Laptopbildschirm zu sehen, im Hintergrund ein großer Bildschirm, auf dem Inhalte präsentiert werden.

Irgendetwas läuft schief in der Kommunikation zwischen den Verwaltungsebenen. Kommunen sehen Gesetze und Verordnungen von Bund und Land oft als nicht praxistauglich, sie haben den Eindruck, bei der Entwicklung „am Katzentisch zu sitzen“[1]. Die andere Seite hingegen ärgert sich, weil sie sich doch bemüht, die Kommunen einzubeziehen, aber das Ringen mit den Spitzenverbänden zäh ist oder die Rücklaufquote bei Konsultationsverfahren gering. Beziehungsstatus: Kompliziert.

Die Problematik greift auch der Zwischenbericht der Initiative für einen handlungsfähigen Staat auf. Darin heißt es: „Ein Symbol unserer Reformunfähigkeit sind die höchst komplizierten und in sich verhedderten Strukturen zwischen Bund, Ländern und Kommunen (…).“ Wir wagen die These: Eine veränderte Zusammenarbeit zwischen den föderalen Ebenen ist ein Schlüssel zur Staatsreform.

In diesem Beitrag schauen wir insbesondere auf das Zusammenspiel zwischen Landes- und kommunaler Ebene (Städte, Kreise, Gemeinden). Ein beeindruckendes Modell für eine gelingende Kooperation liefert das Land Sachsen-Anhalt. Wir freuen uns, dass Tobias Krüger, CDO beim Ministerium für Infrastruktur und Digitales Sachsen-Anhalt (kurz: MID) zusammen mit Vertreter:innen der kommunalen Ebene für diesen Blog ihre Erfahrungen mit uns geteilt haben. 

Ein kurzer Überblick über den Beitrag:

  • Wir starten mit ein wenig Hintergrund: Wie kam es zu der veränderten Zusammenarbeit in Sachsen-Anhalt?
  • Im Hauptteil liefern wir 8 Gelingensbedingungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Land und Kommunen.
  • Und schließlich einige Beispiele dafür, was Land und Kommunen auf diese Weise gemeinsam auf die Beine gestellt haben.

Am Beispiel des Interviews für diesen Beitrag zeigte sich anschaulich, wie es in Sachsen-Anhalt läuft: „Das Mastermind, das sind die Kommunen“, so Tobias Krüger. „Daher sollten sie auch beim Interview dabei sein.“ Es folgte eine kurze Mail in die kommunale Runde: „Wer hat Lust, mitzumachen?“ – und zack, waren unsere Interviewpartner:innen gefunden!

Portraits der vier Interviewpartner:innen

Vielen Dank an:

  • Claudia Thiele – Referentin E-Government/Digitalisierung beim Landkreis Wittenberg
  • Stefan Barthel – Referatsleiter IT/Digitalisierung bei der Stadt Dessau-Roßlau
  • Steven Kiewert – Leiter der Stabsstelle Digitalisierung beim Landkreis Harz
  • Tobias Krüger – Chief Digital Officer (CDO) beim Ministerium für Infrastruktur und Digitales Sachsen-Anhalt

Wie es zu einer veränderten Zusammenarbeit kam

Neuer Staatssekretär, neues Glück: Kurz nachdem Bernd Schlömer 2021 als neuer CIO des Landes Sachsen-Anhalt ins Amt kam, initiierte er das „Projekt zur Neuausrichtung der Zusammenarbeit zwischen Land und Kommunen“ (kurz: CIO-Projekt) mit 60 Beteiligten aus 23 Kommunen. Seine Devise: „Unsere Herausforderung ist nicht die Digitalisierung allein. Wir müssen auch die Arbeits- und Verfahrensweisen in den öffentlichen Verwaltungen insgesamt in den Blick nehmen und optimieren. So können wir letztendlich das Land in die Zukunft führen und resilient mit Veränderungen und Problemen umgehen. Das stärkt auch das Vertrauen in den Staat.“

Cover des Ergebnisdokuments „Digitalisierung für Sachsen-Anhalt - Handlungsempfehlungen aus dem CIO-Projekt 2023“

Ergebnisdokument des CIO-Projektes. Bild: MID Sachsen-Anhalt

Die Erfahrungen aus dem CIO-Projekt flossen in ein ausführliches Ergebnisdokument. Es liefert eine Entscheidungs- und Umsetzungshilfe zur Verwaltungsdigitalisierung.

Ausgangspunkt für das CIO-Projekt war die weitere Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. Tobias Krüger: „Dass der Bund nicht erfolgreich mit den Ländern zusammenarbeitet und die Länder oft nicht mit den Kommunen, ist ein riesiges Problem bei der Digitalisierung. Wenn wir durchs Land fuhren, merkten wir: Wir haben eigentlich schon richtig gute Lösungen. Die sind nur nicht in der Fläche angekommen. Jeder macht sein Ding. Man kannte sich nicht und die Lösungen nicht. Das wollten wir ändern.“

So entstand die Idee, einen systematischen, projektorientierten Rahmen zu schaffen, in dem die Kommunen gemeinsam mit dem Land an Lösungen arbeiten und bestehende Lösungen verbreiten. „Die Kommunen wissen am besten, was sie brauchen und was geht. Durch den Austausch entstand ein Netzwerk, das an sich schon eine riesige Stärke ist. Die Lösungen kommen dann von selbst.“

Folie zum GDST-Projekt. Die vier Bausteine des Projektes „Strategie“, „Umsetzung“, „Organisation“ und „Technik“ im Überblick.

Überblick zum GDST-Projekt. Bild: MID Sachsen-Anhalt

Mit dem Folgeprojekt „Gemeinsam digital für Sachsen-Anhalt“ (kurz GDST) soll diese Art der Zusammenarbeit verstetigt werden. Auch hier arbeiten Land und Kommunen wieder in verschiedenen Arbeitsgruppen (Strategie, Organisation, Umsetzung, Technik) Hand in Hand.

8 Gelingensbedingungen

… für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Land und Kommunen haben wir aus dem Interview extrahiert:

1. Gesetze und Haushalt kooperationsförderlich gestalten und auslegen

Mit dem E-Government-Gesetz Sachsen-Anhalt wurden bereits 2019 Pflöcke eingeschlagen, die eine Kooperation zwischen Land und Kommunen einforderten und somit erleichterten.

  • Das Gesetz enthält einen Grundsatz zur kooperativen Kommunikation,
  • es regelt, dass Standards mit Blick auf Vorgehensweise und technische Infrastruktur abzustimmen sind, und
  • es definiert Basisdienste für die Landesverwaltung – z.B. eine Plattform für Online-Dienste, eine elektronische Bezahlmöglichkeit oder ein gemeinsames Beteiligungsportal.

„Wir haben das so interpretiert: Die Kommunen sind Teil der Landesverwaltung, also kann ich die Basisdienste doch auch meinen Kommunen anbieten. In Deutschland wird die Staatsstruktur oft auf die technische Lösung übertragen. Jede Ebene nutzt dann ihre eigene Infrastruktur. Das ist doch Quatsch – es können und sollten doch verschiedene staatliche Ebenen auf einer gemeinsamen Infrastruktur arbeiten. Das befördert unser E-Government-Gesetz glücklicherweise“, so Tobias Krüger. Und augenzwinkernd: „Da muss ich unsere Juristen mal loben.“

Metallene Statue von Justitia, der Göttin der Gerechtigkeit. Sie hat die Augen verbunden und hält in der einen Hand eine Waage und in der anderen ein Schwert.

Quelle: Tingey Injury Law Firm – unsplash.com

Was die projektorientierte Kooperation in Sachsen-Anhalt außerdem erleichtert: Ausgaben dürfen Projekten zugeordnet werden. Projekte dürfen interdisziplinär und ebenenübergreifend besetzt sein. Und es gibt ein Sondervermögen, das nicht an Haushaltsjahre gekoppelt ist.

2. Augenhöhe & psychologische Sicherheit

Im Interview fällt immer wieder ein Begriff: „Augenhöhe“. Wie im Projekt hierarchieübergreifend kommuniziert wird, erscheint als zentraler Türöffner für eine neue Art der Zusammenarbeit. Hier spielt Führung eine zentrale Rolle. Denn es ist der CIO, der die Kommunikation auf Augenhöhe vorlebt. Steven Kiewert beschreibt das Miteinander so: „Herr Schlömer hat mit uns am Tisch gesessen und auf Augenhöhe mitdiskutiert. Nicht als ‚der werte Herr Staatssekretär‘, sondern als jemand, der wirklich verstehen möchte. Die flachen Hierarchien waren von Anfang an gewollt von beiden Seiten und sind sehr gut angekommen. Man hatte das Gefühl, dass man Probleme, die an der Basis bestehen, auch ansprechen kann – und dass genau das von der Landesebene gewollt ist.“

Ein Phänomen, das wir als „psychologische Sicherheit“ beschreiben würden. Das Konzept beschreibt eine Atmosphäre in einer Gruppe, in der die Beteiligten die Überzeugung teilen, sich offen äußern zu können – Fragen stellen, Fehler zugeben oder Kritik äußern zu können – ohne negative Konsequenzen zu fürchten.[2] Zahlreiche Studien zeigen, dass sich psychologische Sicherheit positiv auf die Leistung von Teams und Unternehmen auswirkt.[3]

Grafik zu den dre Aspekten von psychologischer Sicherheit nach Zahno & Pelrine (2009). Ein Dreieck mit den Ecken Verwantwortung übernehmen, Verrtrauen schenken und Verletzllichkeit zeigen.

Drei Aspekte von psychologischer Sicherheit nach Zahno & Pelrine (2009)

Auch Tobias Krüger ist überzeugt: „Es ist ein großer Mehrwert, dass die Kommunen uns sagen, was nicht funktioniert. Sie setzen die Dinge an der Basis um und wissen am besten, was funktioniert und was nicht. Daher sollten sie nicht in hierarchischer Ehrfurcht vor Staatssekretären und Ministern sitzen, sondern ihnen sagen, was sie verändern sollen. Woher sollen die’s denn sonst wissen? Ich halte es für eine große Chance, wenn die Kommunen selbstbewusster agieren. Und genau das passiert im GDST-Projekt.“

3. Projektorientiertes, kollaboratives Vorgehen

Von Anfang wurde das Thema „Neuausrichtung der Zusammenarbeit zwischen Land und Kommunen“ als Projekt aufgesetzt und behandelt. Bereits in der Projektorganisation zeigt sich der kooperative Ansatz: Jede Arbeitsgruppe wird durch eine Doppelspitze aus einer Landes- und einer Kommunalvertretung koordiniert.

Organigramm des GDST-Projektes. Zu sehen sind die vier Arbeitsgruppen mit jeweils einer Doppelspitze aus MID und einer Kommune. Zu jeder AG sind die beteiligten Kommunen aufgeführt.

Organigramm des GDST-Projektes (Bild anklciken für eine vergrößerte Ansicht). Bild: MID Sachsen-Anhalt

Im Projekt arbeiten agile, selbstorganisierte Teams zusammen, weitgehend online, unterstützt durch Tools wie z. B. ein Online-Whiteboard.

Steven Kiewert beschreibt die Arbeitsweise: „In den Arbeitsgruppen werden Bedarfe in einem Brainstorming aufgenommen und priorisiert. Zu den Themen mit den meisten Stimmen finden sich drei bis vier Leute von Landes- und kommunaler Ebene, die sich dazu in den 3-4 Wochen bis zur nächsten Sitzung Gedanken machen. In der AG-Sitzung diskutieren wir diese Ideen und entscheiden, wie wir sie weiter ausarbeiten oder daraus sogar ein so genanntes Spotlight-Thema machen. Das wird dann auf Landesebene weiterverfolgt, um uns Kommunen damit zu unterstützen. So war es zum Beispiel beim Thema Beteiligungsportal.“

Ein bunter Ausschnitt eines Conceptboards. In der Mitte drei Personen-Icons mit den Kategorien Ziele, Aufgaben und Zusammenarbeitskultur. Dazu zahlreiche Klebezettel. Die Schrift ist kaum lesbar.

Einsatz von Conceptboard als Kollaborationstool. Bild: Land Sachsen-Anhalt

Die Arbeitsweise hat zugleich einen qualifizierenden Effekt, die Beteiligten können die Erfahrungen und neuen Kompetenzen auch bei der Digitalisierung vor Ort nutzen. Steven Kiewert: „Vorher hatten wir uns in Projekten mit Bordmitteln über Wasser gehalten. Im Projekt haben wir neue Tools für die Projektarbeit kennengelernt.“

4. Kommunen vernetzen

Ein Bilderrahmen mit einem großen Textdruck „Together is our favorite place to be!“

Bild: MID Sachsen-Anhalt

Es ist ein expliziter (Neben-)Auftrag des GDST-Projektes (wie zuvor beim CIO-Projekt), die Kommunen nicht nur mit dem Land, sondern auch untereinander zu vernetzen. Und das entpuppt sich als zentraler Erfolgsfaktor. Tobias Krüger ist überzeugt: „Selbst wenn aus dem Projekt keine konkreten digitalen Lösungen herausgekommen wären: Allein für das entstandene Netzwerk hätte es sich gelohnt, denn das Netzwerk gestaltet die Arbeit im Alltag schon effizienter“.

Stefan Barthel beschreibt den Mehrwert so: „Mit dem Projekt hat sich etwas verändert im Land. Wir sind viel offener und ehrlicher miteinander. Wir kennen uns. Wenn ich eine Frage habe, kann ich jemanden anrufen. Anstatt Firmen zu fragen, die mir etwas verkaufen wollen, kann ich mir IT-Lösungen in der Praxis zeigen lassen und das Erfahrungswissen anzapfen. Wir können Projekte gemeinsam angehen. Das hat für mich ganz viel verändert.“

Das Projekt gibt Impulse, aus denen regelmäßig eigene Initiativen erwachsen. Aus der Frage: Wie können wir das Einer-für-alle-Prinzip auch jenseits des OZG nutzen? resultierten zum Beispiel eine Werkstatt für Online-Dienste und eine Community of Practice zum Thema DMS. „Solche gemeinsamen Initiativen zu starten, ist total einfach. Weil ich eben nicht über die Landräte gehen muss, sondern direkt die Leute auf Arbeitsebene ansprechen kann. Durch die Kombination aus guten Impulsen und Projektmanagement-Tools kommen wir schnell und unkompliziert ins gemeinsame Arbeiten“, so Claudia Thiele.

Präsenztreffen im Rahmen des CIO-Projektes. Gruppenfoto von etwa 35 Personen im Grünen vor einem größeren Gebäude.

Präsenztreffen im Rahmen des CIO-Projektes. Bild: MID Sachsen-Anhalt

Das Land betreibt hier gekonntes Community Management. Es moderiert Austauschräume, stellt Tools bereit, vermittelt Ansprechpersonen.

Und ganz nebenbei ist ein solches kooperatives Miteinander auch ein Pfund der Verwaltung, um gute Leute zu gewinnen und zu halten. So beschreibt es auch Claudia Thiele, die als Quereinsteigerin in der Verwaltung gelandet ist: „Was ich an der Verwaltung mag: Die kommunale Familie. Aus der Wirtschaft kannte ich die Ellbogenmentalität – keiner lässt den anderen auf den eigenen Teller schauen, jeder versucht Wissensvorsprünge für sich zu bewahren. In der Verwaltung ist es umgekehrt – wir schüren Netzwerke, unterstützen uns gegenseitig und freuen uns, wenn andere unsere Lösungen nachmachen. Das genieße ich sehr, und daher kann ich mir auch nicht mehr vorstellen, zurück in die Wirtschaft zu wechseln.“

5. Nachnutzung einfach machen

Wenn Kommunen auf eine solche Art und Weise vernetzt sind, kommt schnell der Wunsch auf, bestehende Lösungen auszutauschen und im Land zu verbreiten. Das Land macht den Kommunen solche Nachnutzungen leicht und schmackhaft, wie Tobias Krüger beschreibt: „Im GDST-Projekt haben wir gelernt, dass es eine gute Struktur braucht, an die man die Lösung einer Kommune übergeben kann und von der aus andere sie komfortabel abrufen können. In unserem Fall ist das die Kommunale IT-UNION, unser genossenschaftlich organisierter IT-Dienstleister. Niemand ist zur Abnahme verpflichtet, aber die Kommunen wissen: Die Lösung ist Datenschutz-seitig geprüft, sie wird sicher gehostet, das Vertragliche mit dem Dienstleister ist ausgehandelt etc. Und für das erste Jahr übernehmen wir sogar die Finanzierung. Auf diese Weise nehmen die Kommunen das meist gerne an, und die Nachnutzung funktioniert.“

Screenshot des eGovernment-Marktplatzes des Landes Sachsen-Anhalt. Zu sehen sind mehrere Online-Dienste und danaben Buttons eines klassischen E-Shops („Zum Merkzettel“, „Vorschau anzeigen“, „In den Warenkorb“).

Über den eGovernment-Marktplatz des Landes Sachsen-Anhalt können Online-Services komfortabel nachgenutzt werden.

Auch Prozesse werden standardisiert und nachgenutzt: „Die Stadt Halle hatte einen super Musterprozess zur Umsetzung von Onlinediensten entwickelt und dokumentiert. Wir haben ihn noch ein wenig standardisiert und können ihn jetzt allen anbieten, die sich fragen, wie sie am besten anfangen.“

6. Pragmatische Beteiligung und Nutzendenzentrierung

Man kann der deutschen Verwaltung nicht vorwerfen, dass sie nicht den Anspruch verfolgt, Betroffene zu beteiligen. Das gilt auch für die Länder mit Blick auf die Kommunen. Der Anspruch nach Repräsentativität und „alle sollen gehört werden“ führt jedoch häufig dazu, dass zu viele und zugleich die falschen Leute einbezogen werden. Oft wird über Lösungen diskutiert, bevor man das Problem und sich untereinander verstanden hat. Solche Beteiligungsprozesse sind lähmend, und die kleinsten gemeinsamen Nenner bleiben unbefriedigend.

Sachsen-Anhalt geht hier einen pragmatischen Weg: „Liebe Kommunen, hier ist ein Kooperationsangebot. Bis zu 80 Personen können teilnehmen. Wer hat Lust mitzumachen?“ Gearbeitet wird mit denen, die kommen. Meist sind das Menschen auf der Arbeitsebene – Digitalisierungsbeauftragte oder andere Veränderungspionier:innen.

Die Idee: Wenn wir eine Allianz der Willigen haben und gute Konzepte entwickeln, dann kriegen wir den Rest auch mitgezogen. Durch diese pragmatische Beteiligung kommt die Nutzer:in-Perspektive automatisch ins Spiel: Weil die Lösungen von denen entwickelt werden, die später in der Praxis damit arbeiten müssen.

Projekttreffen zur Halbzeit des GDST-Projektes. Auf der Bühne mehrere Vertreter:innen von Kommunen und ein Moderator. Dahinter eine Leinwand auf der eine Folie mit den Namen der Personen zu sehen ist.

Projekttreffen zur Halbzeit des GDST-Projektes. Bild: MID Sachsen-Anhalt

Auch die wichtigen kommunalen Spitzenverbände werden in die Arbeitsgruppen des GDST-Projektes eingeladen. Hier erleben sie die andere Kultur des Miteinanders und sind – anders als sonst – näher dran an der praktischen Umsetzung. Sie können diese Erfahrung mitnehmen in politische Prozesse, um die Umsetzung von Digitalisierungsvorhaben zu befördern.

Die Erfahrung zeigt: „Wenn eine Koalition der Willigen gute Lösungen hat und die Verbände gut eingebunden sind, dann greifen sie die Impulse in der Regel auch auf. Dadurch entsteht wiederum eine Sogwirkung für die eher zögerliche und abwartende Masse der Kommunen“, so Tobias Krüger. Und Steven Kiewert beobachtet ein weiteres Phänomen: „Auch bei den Spitzenverbänden merkt man zunehmend, dass sie anders in Kommunikation treten.“

Mehrere Männer stehen am Strand am Meer und ziehen gemeinsam an einem Seil - vermutllich, um, ein Boot aus dem Waser zu ziehen.

An einem Strang mit den Spitzenverbänden. Bild: Hoang Minh 2 – pexels.com

Und was ist mit den kleinen Kommunen, die keine Ressourcen haben, um jemanden in die Arbeitsgruppe zu schicken? „Es ist ganz klar unser Anspruch, dass wir auch die kleineren Kommunen mitnehmen und mitdenken. Da kommt uns als Landkreisen auch eine Verantwortung zu“, so Steven Kiewert. Das geht so weit, dass man sich auch gegenseitig unter die Arme greift. Etwa, wenn Kollegen von der Stadt Dessau-Roßlau sich einen Tag Zeit nehmen, um einer kleinen Nachbarkommune zu zeigen, wie sie mit dem DMS-System arbeiten.

Doch das Prinzip Nutzerzentrierung gilt auch in Richtung der Bürger:innen und anderer Akteure außerhalb der Verwaltung, denen nützliche und nutzerfreundliche Dienstleistungen bereitgestellt werden sollen. Stefan Barthel: „Es geht uns auch darum, das klassische Verwaltungsdenken aufzubrechen. Wir wollen aus Bürgerperspektive auf unsere Prozesse schauen.“ „Den Bürger interessiert nicht, welche staatliche Ebene welche Leistung verantwortet“, ergänzt Tobias Krüger. „Wenn jemand einen digitalen Bauantrag doof findet, spricht er vielleicht das Bürgeramt an – wenn dieses Amt die Verantwortung dann auf die „zuständige“ untere Bauaufsichtsbehörde in der Kreisverwaltung schiebt, hilft’s niemandem. Und darum können wir das auch nur gemeinsam lösen – Land, Kreise und Gemeinden zusammen.“

7. Anders kommunizieren

Tobias Krüger beschreibt, wie die Kommunikation zwischen Land und Kommunen üblicherweise läuft: „Wir geben ein Thema an einen Fachreferenten. Der schreibt dann einen langen Brief und schickt ihn ans Landesverwaltungsamt. Das hängt noch drei Absätze dran und leitet es an die Fachreferate der Landkreise und kreisfreien Städte. Die Leute dort fragen sich dann: ‚Was will der von mir? Und wieso eigentlich? Ach, das ist gar kein Erlass – nun gut, dann lege ich’s erstmal beiseite.‘ Und das Land wundert sich, warum es von 14 Kreisen nur 3 Antworten bekommt, und glaubt, die Kommunen mauern.“

Claudia Thiele ergänzt aus Sicht einer Kreisverwaltung: „Solche Briefe und Rundmails gehen irgendwo zentral in einem Vorzimmer ein und dort wird anhand des Betreffs entschieden, an wen die Info weitergeleitet wird. Dadurch kann es mitunter dauern, bis das Schreiben an der richtigen Stelle landet.“

Projekttreffen im Zuge der ebenenübergreifenden Projektarbeit. Zu sehen sind Tobias Krüger und zwei weitere Personen in einer kreativen Arbeitsumgebung. Bunte Möbel, buntes Arbeitsmaterial.

Bild: MID Sachsen-Anhalt

„Das ist das Disruptive an dem GDST-Projekt: Wir kommunizieren anders und arbeiten anders zusammen: in den AGs, in den offenen Forumsveranstaltungen, indem wir uns anrufen oder auch mal eine informelle Mail schreiben. Dafür muss ich kein Gesetz ändern. Das kann ich alles im bestehenden Rahmen machen“, so Tobias Krüger. Leider sieht es in vielen Köpfen noch anders aus. „Den Leuten wird häufig noch beigebracht: ‚Sie reden gar nicht mit anderen Dienststellen! Und mit den Kommunen reden Sie nur auf dem Erlassweg!‘“

Ein gemeinsamer Projektmanagement-Standard für das Land soll das Umdenken befördern. „Der besagt: Hole erst einmal die Stakeholder an einen Tisch und sprich mit ihnen. Erkläre ihnen, was du vorhast, damit sie verstehen, was du von ihnen willst und wozu. Und dann macht ihr zusammen ein Projekt und löst das Problem. Das ermächtigt auch Referenten, die gern progressiv arbeiten würden – sie können sich auf den Standard berufen“, so Tobias Krüger.

„Am Ende steht dann vielleicht trotzdem ein Erlass, der gestempelt und gesiegelt auf dem Tisch des Landrats landet. Aber der Weg dahin ist ein anderer“, wirft Claudia Thiele ein. Das Land bekommt Infos von der Basis und ist dadurch geerdet. Die Kommunen verstehen Hintergründe. Das fördert, dass der Erlass praxistauglich ist und von den Kommunen mitgetragen wird.

8. Rechts- und Fachaufsicht als Dienstleistung

Bei aller Kooperation ist nicht zu vergessen: Das Land übt gegenüber den Kommunen eine Rechts- und bei übertragenen Aufgaben auch eine Fachaufsichtsfunktion aus. Die kann durchaus unterschiedlich ausgelegt und gelebt werden. Tobias Krüger: „Ich kann mich als juristische Instanz sehen. Ich habe einen Erlass geschrieben und wie die Kommunen ihn umsetzen, ist mir egal. Ich kann das Verhältnis zu den Kommunen sehr hierarchisch gestalten – indem ich sie nur anschreibe, wenn ich sie strafen oder ihnen etwas aufgeben möchte.“ Claudia Thiele kann bestätigen: „Wir kriegen manchmal von anderen Behörden Mails, die nicht besonders nett klingen: ‚Online-Leistung … ist umzusetzen bis … ansonsten …‘“

Tobias Krüger hält bei der Digitalisierung einen kooperativen und dienstleistungsorientierten Ansatz für erfolgreicher: „Wir nehmen die Aufsichtsfunktion so wahr, dass wir gemeinsam Lösungen entwickeln und standardisieren. Mein Anspruch an meine Arbeit ist: Ich möchte den Kommunen etwas anbieten, das für sie funktioniert. Dazu muss ich verstehen wollen, was sie machen und wie sie arbeiten. Wenn ich mir etwas ausdenke, fehlt mir der Praxisbezug.“

Das erinnert uns an die Idee von „Führung als Dienstleistung“ (servant leadership): als Führungskraft dafür zu sorgen, dass andere gut arbeiten und gute Leistungen erbringen können.

Abschlussveranstaltung des CIO-Projektes. Zu sehen sind mehrere Arbeitsgruppen, an denen Menschen sitzen und fröhlich lachen. Tobias Krüger steht am Mikro und erzählt offensichtlich etwas Lustiges.

Tobias Krüger bei der Abschlussveranstaltung des CIO-Projektes. Bild: MID Sachsen-Anhalt

Das hat Strahlwirkung auf andere Ministerien, die an Workshops innerhalb des GDST-Projekt beteiligt sind. Stefan Barthel: „Wir haben in den AGs immer wieder Aha-Effekten bemerkt: ‚Ach, jetzt verstehe ich das Problem! Ach, deshalb fühlt ihr euch auf den Schlips getreten! Ach, das braucht ihr von uns!‘ Das Land befindet sich in einem Veränderungs- und Öffnungsprozess, in dem das MID eine Vorreiterrolle einnimmt. Die Arbeit öffnet den Blick dafür, was eine andere Zusammenarbeit mit den Kommunen bewirken kann.“

Was Land und Kommunen in Sachsen-Anhalt gemeinsam auf die Beine gestellt haben

Und welche digitalen Lösungen kommen nun herum bei einer solchen Art der Zusammenarbeit zwischen Land und Kommunen? Zum Beispiel diese hier:

Beteiligungsportal

Der Bedarf nach Beteiligung ist ein gemeinsamer Nenner zwischen Land und Kommunen. Fündig wurde man bei einer Lösung, die in Kooperation verschiedener Bundesländer entstanden war. Seit 2024 steht das Beteiligungsportal als Basisdienst zur kostenfreien Nachnutzung bereit. Es bietet Bürger:innen und Behörden Möglichkeit, sich aktiv in Entscheidungsprozesse von Politik und Verwaltung einzubringen.

In einer aktuellen Pressemittelung (04/2025) heißt es: „Das Beteiligungsportal ermöglicht es den Bürgern, sich unkompliziert und jederzeit in politische Entscheidungsprozesse, beispielsweise bei der Auslegung von Bebauungsplänen, einzubringen. Die Digitalisierung von Beteiligungsverfahren hat den Zugang zur politischen Mitbestimmung erheblich vereinfacht und Prozesse deutlich beschleunigt. Über 250 Organisationen und mehr als 850 Verfahren (2,4 Beteiligungen pro Tag) wurden bereits erfolgreich in das Portal integriert, was die Effizienz und Transparenz der Verwaltung auf ein neues Niveau hebt.“

Screenshot des Beteiligungsportals. Zu sehen ist eine Kartenauschnitt von Deutschland mit Fokus auf das Sachen-Anhalt. Darauf sind mehrere Markierungen gesetzt, die anzeigen, wo Beteiligungsverfahren stattfinden.

Das Beteiligungsportal des Landes Sachsen-Anhalt

Marktplatz für Online-Dienste

Der landesweite eGovernment-Marktplatz ermöglicht eine einfache Nachnutzung verschiedener Basisdienste und Online-Dienste durch einen standardisierten Bestellprozess.

Screenshot des e-Government Marktplatzes. Zu sehen sind verschiedene Kacheln mit Basisdiensten - jeweils mit einbem Button „In den Warenkorb“.

Der e-Government Marktplatz des Landes Sachsen-Anhalt

IT-Sicherheit

Mit dem Projekt „SicherKommunal in Sachsen-Anhalt“ unterstützt das Land seine Kommunen dabei, ihre eigene IT- und Informationssicherheit zu erhöhen. Das Pilotprojekt ist 2024 gestartet, es basiert auf dem BSI-Konzept „WiBA – Weg in die Basis-Absicherung“ und erweitert dieses durch Beratungsangebote und digitale Hilfsmittel.

Screenshot der BSI-Website mit einem Beitrag zu dem Projekt „Weg in die Basis-Absicherung (WiBA)““

Projektbeschreibung auf der BSI-Website

Projektmanagement standardisieren

Erfahrungen und Methodik des GDST-Projektes fließen in einen landesweiten Projektmanagement-Standard. Dieser soll projektorientierte Arbeitsweisen in der Landesverwaltung und zwischen Land und Kommunen fördern.

Cover des PM-Handbuchs mit der Überschrift „PM-Handbuch - Kompass für die Projekt- und Programmarbeit in der Landesverwaltung Sachsen-Anhalt“

Cover des Projektmanagement-Handbuchs. Bild: MID Sachsen-Anhalt

Digital-Lots:innen zwischen Land und Kommunen

Die Idee der Digital-Lots:innen als Multiplikator:innen und Treiber:innen von Digitalisierungsprozessen kannten wir bisher von kommunaler Ebene (s. unseren Beitrag zur internen Unterstützung der Verwaltungsmodernisierung).
Sachsen-Anhalt verfolgt nun die Idee, solche Unterstützungsrollen als Land bereitzustellen. Steven Kiewert: „Sie sollen die Kommunen in Sachen Projektmanagement an die Hand nehmen: Welche Tools kann man nutzen? Wer ist Ansprechperson auf Landesebene? Welcher Landkreis hat schon Erfahrungen mit einem bestimmten Thema?“.

Darüber hinaus entwickeln Land, Kommunen und Spitzenverbände aktuell ein gemeinsames Konzept für Digital-Expert:innen, die für spezifische technische Themen – z.B. Einführung einer Cloud- oder KI-Lösung – bei den Kommunen vor Ort eingesetzt werden können und dabei auch die Nachnutzung durch andere Kommunen im Blick haben.

Grafik mit Infos zum Digital-Lots:innen-Programm. Die Rolle ist beschrieben mit den Aspekten „Digitalierungsexperten“, „Coaches/Trainer“ und „Netzwerker“. Daneben Qualifizierungsbausteine - Basiskurs, Aufbaukurse, Wissensmanagement, Netzwerk / Austausch.

Konzept des Digital-Lots:innen-Programms (Bild anklciken für eine vergrößerte Ansicht). Bild: MID Sachsen-Anhalt

Ein Ruck durch’s Land

Das waren nur einige von zahlreichen Lösungen, die aus der gemeinsamen Arbeit resultieren. Viel wichtiger erscheint uns aber der grundlegende Kulturwandel, der angestoßen wurde. „CIO- und GDST-Projekt haben einen Ruck durch das ganze Land Sachsen-Anhalt gebracht, was die Kommunikation zwischen Land und kommunaler Ebene angeht“, so Steven Kiewert. Stefan Barthel ergänzt: „Das Land befindet sich in einem Veränderungs- und Öffnungsprozess, in dem das MID eine Vorreiterrolle einnimmt.“ Auch wenn es noch ein langer Weg ist, bis diese Kultur die Landesverwaltung durchdringt, steht für Tobias Krüger fest: „Wir sind als Land bereits jetzt besser geworden, weil wir Expertise aus den Kommunen einbeziehen und voneinander lernen“.

„Geht doch!“, war unser Impuls nach dem Interview. Wer mag, wird 1.000 Gründe dafür finden, warum so etwas wie das GDST-Projekt andernorts nicht funktioniert. Was die Schwierigkeiten und Risiken einer solchen Vorgehensweise sind. Was in einem so kleinen Bundesland viel einfacher ist. Und so weiter. Doch aus unserer Sicht ist nicht wegzuwischen: Das Beispiel zeigt, was möglich ist, wenn Land und Kommunen zugewandt, bodenständig und unerschrocken zusammenarbeiten. Möge es weiter durch’s Land und die gesamte Republik strahlen!

Fußnoten:

[1] „Wir sollen das OZG zwar in weiten Teilen umsetzen. Aber bei der Entwicklung des Gesetzes saßen die Kommunen nur am Katzentisch und wurden nicht so recht mitgedacht“ – so hat Peter Adelskamp hier in unserem Beitrag zum OZG die Problematik schön auf den Punkt gebracht.

[2] Edmondson, Amy (1999). Psychological safety and learning behavior in work teams. Administrative Science Quarterly, 44, 350–383.

[3] Einige Studien zum Zusammenhang zwischen pychologischer Sicherheit und Leistung:

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