Vor 3 Jahren veröffentlichten wir einen Blog-Beitrag zu „agilen Besprechungsmethoden“. Darin beschreiben wir, wie man durch gute Strukturierung einen förderlichen Rahmen schafft, so dass Teilnehmende sich aktiv beteiligen und Besprechungen effektiv und effizient verlaufen. Und somit am Ende beide – Thema und Teilnehmende – „gut bedient“ worden sind. In diesem Blogbeitrag hatten wir auch beispielhaft einige Besprechungsmethoden vorgestellt.
Den Faden möchten wir heute aufgreifen und zwei weitere solcher agiler Besprechungsmethoden vorstellen. Dabei nehmen wir uns diesmal komplexere, mehrschrittige Methoden vor. Die sind nicht von uns neu erfunden, man findet sie schon auch an anderen Stellen im Web. Aber oft so kurz vorgestellt, dass sich das Vorgehen nicht unbedingt klar erschließt. Oder die Beschreibung hört auf, wo es „kniffelig“ wird.
Wir möchten in diesem Blogbeitrag
- ausgewählte agile Besprechungs-Methoden (die „WADE-Matrix: Retrospektive von der Rückschau zum Handeln“ und „Think-Pair-Share: fokussiert Ideen zusammentragen und verdichten „) in ihren Schritten gut nachvollziehbar und „nach-machbar“ darstellen,
- sie anschaulich visualisieren und
- gezielt auf mögliche Tücken in der Durchführung hinweisen.
Damit Sie sich sicher fühlen, auch wenn Sie eine dieser komplexeren Methoden zum ersten Mal durchführen.
Vorab: Komplexe Themen erfordern komplexe Methoden
„Man soll alles so einfach machen wie möglich – aber nicht einfacher.“ Dieser Einstein-Ausspruch gilt unbedingt auch für Besprechungen und Beratungen komplexer Themen.
Wie lösen Sie aber nun dieses Dilemma: Der Komplexität eines Themas Rechnung zu tragen – und zugleich aber nicht die Teilnehmenden mit dieser Komplexität zu verwirren?
Gute Orientierung inmitten von Komplexität vermitteln Sie so:
- Die Arbeits-Schritte klar benennen: Wie heißen die Schritte – was tun wir jeweils? (sammeln – analysieren – austauschen – bewerten – auswählen – …) Das heißt nicht, dass vorab schon der komplette Ablauf für alle Teilnehmenden im Detail klar sein muss – ein grober Überblick reicht zunächst, vielleicht ergibt sich sogar auch im Prozess der agilen Bearbeitung, dass noch ein zusätzlicher Schritt eingeschoben werden muss. Aber benennen Sie im Verlauf der Besprechung zu jedem Schritt klar: Was machen wir nun im nächsten Schritt – und wozu genau dient er?
- Den Fortschritt innerhalb der Gesamtbearbeitung sichtbar machen: Was haben wir schon? Wo sind wir jetzt? Wo und wie geht es jetzt weiter?
Damit ist klar: Sie brauchen – in Präsenz wie online – eine konsequente Visualisierung der Schritte wie auch der wichtigsten erarbeiteten (Zwischen-)Ergebnisse. Dieses „Vor Augen führen & Festhalten“ hilft außerdem, später auf zuvor Zusammengetragenes und Beratenes zurückzukommen, Querbezüge darzustellen und reflexive Schleifen nachvollziehbar zu machen.
Bei komplexen Themen werden Sie also ggf. mehr als eine Pinnwand (oder Schrankwand 😊) zur Visualisierung benötigen.
Manchmal braucht es auch zeitversetzt mehrere Schritte: Damit die Besprechungsteilnehmer:innen zum Beispiel Analyse-Ergebnisse „sacken lassen“ können oder damit man Zwischenergebnisse auch nochmal mit dem einen oder der anderen Expert:in oder Betroffenen rückkoppeln kann, bevor man sich an die Auswahl der tragfähigsten Lösung macht. Visualisierungen erleichtern dann das Anknüpfen eine Woche später.
Methode 1: Die „WADE-Matrix“ – Retrospektive von der Rückschau zum Handeln
Viele Retrospektive-Methoden sammeln auf kreative Weise Einschätzungen, Feedbacks, Bewertungen zur zurückliegenden Zeit: Die Schlussfolgerungen daraus werden oft benannt, gehen aber manchmal nicht über das Stadium „guter Vorsätze“ hinaus.
Es muss ja auch nicht jede Methode alle notwendigen Schritte umfassen. Aber der „WADE“-Retrospektive-Methode gelingt das. Ohne dass das Team von der Komplexität der Arbeitsschritte „erschlagen“ wird, führt die Methode alle vom Sammeln über das Analysieren und Bewerten konsequent bis zum gezielten schlussfolgernden Handeln. Schritt für Schritt das Team „mitnehmend“, ohne dass alle schon im Vorhinein alles erklärt bekommen, das ist gar nicht nötig. Und so entfaltet die Methode Leichtigkeit und zugleich Tiefgang.
Wozu diese Methode nützlich sein kann:
Für die Rückschau auf größere Arbeitsabschnitte (eine zurückliegende Projektphase, Jahresrückblick, unsere Zusammenarbeit im Netzwerk X o.ä.) – vor allem für Teams, die in vielfältige Kooperationsbeziehungen eingebunden sind. Dabei liegt der Charme darin, dass das Team gezielt die selbst beeinflussbaren Erfolge / Misserfolge in den Fokus stellt, weil die Hindernisse konkret adressiert werden: Wer ist wofür verantwortlich? Wo und wie ist unsere Energie gut investiert?
Die Quelle:
Die Methode stammt von Derek Wade, beschrieben (auf englisch) wird sie von Zach Bonaker hier: https://blog.scatterspoke.com/seeing-the-system/
Materialien:
Pinnwand mit Papierbogen bespannt. Moderations-Karten oder Klebezettel, Dicke Filzstifte zum Notieren der Themen.
Das Vorgehen im Detail:
Vorab:
Das Team wählt aus, worüber es in dieser Rückschau nachdenken möchte:
- unsere zurückliegende Sonder-Aktion …
- die letzte Phase im Projekt …
- unsere Zusammenarbeit mit … in diesem Jahr
Schritt 1: „Bedenkenswertes“ sammeln.
- Was ist passiert, worüber wir sprechen sollten?
- Was sollten wir noch einmal in den Blick nehmen?
- Was sollten wir uns noch mal bewusst machen, um es nicht zu vergessen oder aus dem Blick zu verlieren?
- Was finden wir „(be)merkenswert“?
- Wo sollten wir nochmal ran?
In 3–5 Min. hält jede:r Aspekte auf Klebezetteln fest (1 Aspekt = 1 Zettel), alle Zettel werden im großen Blanko-Feld auf dem Board gesammelt (s. Skizze 1).
Schritt 2: Bewerten & Einordnen „gut – nicht so gut“
Wenn alle Zettel hängen, fügen Sie an der linken Boardkante die vertikale Skala an, indem Sie die obere und untere Kante mit den Skalenwerten „nicht gut“ (oben!) und „gut“ (unten!) versehen.
- Was gehört eher auf die Ebene „nicht so gut“
(gelungen, gelaufen …)? - Was gehört eher auf die Ebene „gut“
(gelaufen, gelungen)?
Die Teammitglieder schieben ihre Zettel nun nach ganz oben („echt in den Sand gesetzt“) oder ganz unten („supergut gelaufen“) – oder ein Stück nach oben oder unten – oder mehr ins mittlere Feld („teils – teils“ – „mit Glück und blauem Auge …“), gern auch sich gegenseitig unterstützend. Manchmal wird jetzt deutlich, dass ein auf einem Zettel notierter Punkt noch mal differenziert werden sollte – dann wird der eine durch zwei Zettel ersetzt, die dann meist unterschiedlich hoch auf dem Board platziert werden.
Schritt 3: Einordnen hinsichtlich „Beeinflussbarkeit“
Anschließend fügen Sie mitten auf dem Board eine horizontale Achse ein mit den Polen „von uns beeinflussbar“ (links) und „nicht in unserem Einfluss“ (rechts). Dabei bitte schon klebende Zettel verschonen. 😊
- Was können wir als Team selbst beeinflussen, ändern?
- Was entzieht sich unserem Einfluss?
Entsprechend diesen Impulsfragen verschieben die Teammitglieder ihre Zettel nun eher oder ganz weit nach rechts bzw. nach links. Achten Sie darauf, dass die Zettel dabei auf derselben Höhe bleiben wie zuvor!
Schritt 4: Quadranten zeigen die Aktionsrichtung
Teilen Sie nun das Board durch gestrichelte Linien in vier Quadranten auf. Versehen Sie jeden Quadranten mit einer Bezeichnung (am besten vorab auf Moderationskarten vorbereiten und nun anpinnen).
Erläutern Sie die jeweiligen Handlungsimpulse:
- TO DO: Diese Dinge können wir als Team selbst anpacken à planen, umsetzen, im Blick behalten!
- BEIBEHALTEN: Diese Dinge laufen schon gut – es lohnt trotzdem, sie zu besprechen, damit sie uns allen im Bewusstsein sind und wir sie dann noch gezielter praktizieren oder sie auf andere Handlungsfelder übertragen.
- ESKALATION: Die hier benannten Dinge sind von uns im Team nicht selbst beeinflussbar. Klären: In wessen Hand liegen sie? Wer wäre der:die richtige Ansprechpartner:in?
- DANKE SAGEN: Wenn Dinge gut gelaufen sind, ohne dass wir als Team selbst dafür gesorgt haben, gab es offenbar „Heinzelmännchen“, die von außen geholfen haben, die es uns im Team leicht gemacht haben. Diese Unterstützerinnen und Unterstützer verdienen Anerkennung und ein Dankeschön!
Schritt 5: Handeln planen.
Was soll mit welchen Aspekten geschehen? Wählen Sie ggf. die wichtigsten aus. Leiten Sie konkrete Maßnahmen ab
- … zu den (ggf. ausgewählten) Notizen in „To Do“: Das nicht Gelungene umformulieren in Ziele: „Was wollen wir stattdessen?“ – konkrete Aktivitäten festlegen, personell und zeitlich zuordnen. Es kann sehr hilfreich sein, zu priorisieren und sich nicht zu viel auf einmal vorzunehmen!
- … zu den Notizen unter „Beibehalten“ (falls nötig). Es lohnt immer mal, sich bewusst zu machen, was gut läuft – und das dann zu systematisieren, auf andere Arbeitsfelder zu übertragen. Vielleicht aber auch einfach nur daran erfreuen!
- … zu den Notizen im Feld „Eskalation“: Wer hätte denn den notwendigen Einfluss (könnte es selbst tun oder es beauftragen)? Wer aus dem Team könnte mit wem das Gespräch suchen? Mit welcher Argumentation „im Gepäck“? Ggf.: mit welcher „Eskalation“? Damit ist kein dumpfes Drohen gemeint, sondern: Aussprechen, welche widrigen Konsequenzen weitere Nicht-Veränderung hätte – was andererseits möglich wäre, wenn die notwendige Veränderung / Voraussetzung realisiert würde?
- Planen Sie Ihre „Danke“: Wer waren unsere „Heinzelmännchen“? Wer hat uns unterstützt, uns in einer schwierigen Situation „gerettet“? Welche Art „Dankeschön“ passt zu wem und welcher Art Hilfe? Wie sagen wir wem „Danke“ – wer übermittelt wem auf welche Weise das positive Feedback?
(Es ist klar, dass es nicht um Kostspieliges geht – eine nette, originelle Karte kann schon genügend „Wow“-Freude auslösen!)
Wo könnten Tücken liegen?
- Halten Sie auf jeden Fall die Schrittfolge sauber ein, erläutern Sie nicht sofort alle Schritte. Das würde nur dazu führen, dass allen schon zu Beginn der Kopf schwirrt. In der allmählich zunehmenden gedanklichen Differenzierung besteht der „Gag“ der Methode. Und so hat man am Anfang den Kopf frei.
- Es braucht genügend Zeit, um die Schritte „Zug um Zug“ vollziehen zu können. Verlegen Sie ggf. Schritt 5 auf ein neues Treffen (nicht zu weit entfernt).
- Verwenden Sie Ihre Energie vor allem auf das selbst Beeinflussbare!
Methode 2: „Think – Pair – Share“ – fokussiert Ideen zusammentragen und verdichten
Bevor Sie gähnen „Kennt doch jede:r!“: Ja, die Besprechungsmethode „Think – Pair – Share“ (oder die agile Variante „1 – 2 – 4 – alle“) ist tatsächlich sehr bekannt. Aber wir hören immer wieder, dass die Methode auch ratlos macht: „Was mache ich denn dann mit dem riesigen Haufen gesammelter Ideen?“
Die Tücke:
Die Benennung der Methode weist anschaulich-prägnant auf die Personkonstellation in den aufeinanderfolgenden Schritten hin. Aber was aus unserer Sicht daneben nicht selten zu kurz kommt, ist
- die Planung, was in jedem Schritt / in jeder Konstellation genau geschehen soll, was also der jeweilige Auftrag ist;
- eine Idee, wie man neben dem Blick-Weiten & Sammeln auch zum Verdichten und Auswählen kommt.
Genau diese Aspekte möchten wir hier in unsere ausführlichere Methodenbeschreibung mit aufnehmen.
Wozu diese Methode nützlich sein kann:
- Lösungen finden für komplexe Situationen, in denen Wert darauf gelegt wird, dass möglichst alle zu Wort kommen, sich beteiligen und sich der gefundenen Lösung verbunden fühlen.
- Auf eine recht flotte und fokussierte Weise Ideen zusammentragen und nach und nach verdichten.
- Der schrittweise Weg verhindert auch, dass immer die Schnellsten ihre Ideen als Erste äußern und diese Ideen dann schon die weitere Diskussion „vorbahnen“ – und gute Ideen der Leiseren oder auch andere Blickwinkel auf ein Problem nicht mehr zum Tragen kommen.
- Die Methode fördert also Vielfalt – der Beteiligung wie der sachlichen Beiträge.
Der grundsätzliche Ablauf:
Eine bestimmte Fragestellung wird in mehreren Schritten in unterschiedlichen Person-Konstellationen bearbeitet. Damit wirklich alle genau wissen, was in welchem Schritt dran ist: Schreiben Sie die Anweisung für jeden Schritt auf ein Flipchart oder auf einen Zettel für jeden Tisch oder projizieren Sie sie per Beamer. Die jeweiligen Schritte werden übrigens auch zeitlich durchgetaktet – aber dazu später mehr.
Schritt 0:
Die Fragestellung, das zu lösende Problem gut herausarbeiten und visualisieren, damit alle das noch einmal gut vor Augen und im Kopf haben.
Das „Warum“ in Erinnerung rufen (Was ist das Drängende, das Notwendige, was uns drückt?) und ggf. schon erste Zielkriterien zusammentragen (Worauf wird es bei einer guten Lösung ankommen?).
Schritt 1: „Think“
Jede:r denkt für sich allein über die Frage nach und notiert eigene Ideen.
Schritt 2: „Pair“
Je zwei Besprechungsteilnehmer:innen tauschen sich über ihre Ideen aus und wählen aus der breiten Sammlung diejenigen Ideen aus, die in die weitere Beratung eingehen sollen. Ein klarer Auftrag (s. Abbildung) hilft, zielgerichtet zu diskutieren.
Schritt 3: „Share“ (zu viert)
Bei der Variante „1-2-4-all“: Zwei Tandems tauschen sich aus, bewerten die (ausgewählten) Ideen – und wählen wiederum die Ideen aus, die in die weitere Beratung eingehen.
Auch hier ist ein klarer Auftrag hilfreich: „Stellt euch gegenseitig eure Ideen vor. Wählt aus den 6 Ideen diejenigen 3 aus, die aus eurer Sicht am besten unser Problem mit „Bordmitteln“ lösen oder zu einer Lösung beitragen können. Ihr könnt ähnliche Ideen natürlich auch „verschmelzen“.
Schritt 4: „Share“ (im Plenum)
Auch das – der Austausch im Plenum – ist leichter gesagt als getan. Zu überlegen ist nämlich
- Wie gewinnen alle einen Überblick über den Vorrat an Lösungsvorschlägen, um gut in die Diskussion einsteigen zu können – damit man auch nicht nur über die ersten drei spricht?
- Wie soll die Diskussion über die Vorschläge ablaufen?
- Wie soll die Endauswahl vonstatten gehen?
Deshalb hier noch ein paar Ideen dazu (es gibt jeweils noch mehr mögliche Wege, klar):
Ideen für Schritt 4: Überblick gewinnen
- In einer kleineren Gesamtgruppe mit einer überschaubaren Zahl von gesammelten Ideen können diese gut im Plenum vorgestellt werden – allerdings unbedingt mit festen „Timeboxes“ (z.B. 4 Min. pro Quartett / 3 Ideen).
- In einer größeren Gruppe mit mehr Quartetten könnte eine Variante „in Bewegung“ zwar keine Zeit sparen, aber die Konzentration besser aufrechterhalten – die Methode „Marktplatz“: Die Quartette kleben ihre Ideen an je 1 Board (Pinnwand oder Flip) und verteilen diese im Raum. Im 6-Min.-Takt schaut sich jede Gruppe (genauer: 3 aus jeder Gruppe, 1 bleibt als „Stallwache“ zum Erklären am eigenen Platz) ein anderes Flip an und lässt sich die dort platzierten Vorschläge kurz & knackig erklären. Nach 6 Min. wechseln die Gruppen zum nächsten Board – und jemand anderes aus der Gruppe übernimmt die „Stallwache“.
- Als Zwischenschritt könnte dann die Vielfalt noch durch Punkten reduziert werden (Jede/r erhält X Punkte: „Welche Ideen sollten deiner Meinung nach auf jeden Fall in die engste Wahl kommen?“)
- Wenn die Ideen sich überschneiden, könnte ein sinnvoller Zwischenschritt auch zunächst darin bestehen, die Ideen zu clustern. So ergibt sich oft eine überschaubare Zahl von grundsätzlichen Möglichkeiten – und nach der grundsätzlichen Entscheidung für einen bestimmten Weg finden sich dann unter den geclusterten Ideen oft interessante Details zur Ausgestaltung dieses Lösungsweges.
Ideen für Schritt 4: Diskussion führen
- In einer überschaubaren Plenumsgruppe geht das – gut moderiert – auch in der Gesamtgruppe.
- In einer größeren Gruppe kann man dazu im „Fishbowl“ arbeiten: Eine Auswahlgruppe – z.B. mit je einer Person aus jedem Quartett – diskutiert in der Mitte, alle anderen sitzen im Kreis drumherum. Die Gruppe in der Mitte startet mit dem Abwägen der Lösungsideen. In dieser Runde in der Mitte gibt es einen zusätzlichen Stuhl, den jemand aus dem Außenkreis nutzen kann, wenn er:sie etwas beitragen möchte. Wenn dieser Stuhl besetzt wird, macht eine andere Person aus der Startgruppe den Platz frei und wechselt in den Außenkreis. So bleibt die Diskussion kompakter – und es muss ja wirklich nicht „alles von allen gesagt werden“ 😉. Aber wem beim Zuhören noch ein ganz neues Argument in den Sinn kommt, kann es trotzdem einbringen.
Ideen für Schritt 4: Entscheidung treffen
- Vorab überlegen: Geht es bei unserer Frage wirklich um eine eindeutige „Bestenauslese“ unter den Ideen & Varianten (der beste Vorgehensweg, die zukünftige Organisationsform, das Thema der diesjährigen Fachkonferenz, …)? Oder eher um ein Paket, das geschnürt werden soll?
- Man sollte auch vorab überlegen, ob die Großgruppe überhaupt die „Endentscheidung“ zu einer Problemlösung oder einem Vorgehen treffen soll – oder ob es sinnvoller ist, dass die Großgruppe Richtungen vorgibt oder Varianten priorisiert, die konkrete Entscheidung der Ausgestaltung dann aber in einer Taskforce oder einem dafür geeigneten Gremium vorgenommen wird. Gerade bei emotionalen oder bei „knffligen“ Sachverhalten kann das sinnvoll sein – ggf. auch mit etwas Zeitabstand.
- In anderen Situationen kann es das klare Ziel sein, dass das Plenum die Entscheidung trifft. Dann lohnt es auf jeden Fall, vorab zu überlegen, welche Art Entscheidung es werden soll: Soll eine einfache Mehrheit genügen? Oder erfordert eine gewichtige Entscheidung an einer Weggabelung nicht eher eine qualifizierte Mehrheit (z.B. Zwei-Drittel-Mehrheit) oder sogar einen Konsens? Oder wollen Sie im Konsent entscheiden?
- In jedem Fall sollten Sie die Entscheidungsform und -befugnisse vorab transparent machen bzw. abstimmen.
„Timeboxing“: Die Schritte durchtakten
Um die Besprechung kompakt zu halten, werden bei „Think-Pair-Share“ die Schritte zeitlich strikt begrenzt. Die jeweilige „Timebox“ sollte dabei immer eher knapp bemessen sein: Ein gewisser Drive im Arbeitsprozess sorgt für Energie. Nutzen Sie ggf. einen für alle sichtbaren Timer mit ablaufender Zeit.
Wie lang genau die Takte jeweils werden, hängt jedoch auch von der Fragestellung ab:
- Wenn es darum geht, Ideen zusammenzustellen, z.B.: „Wie kann ich in meinem turbulenten beruflichen Alltag auch zwischendurch was zum Stressabbau tun?“ , dann geht es auch im „Minutentakt“:
1 Min. individuell nachdenken und Stichworte notieren: Was tue ich im Laufe eines Tages, um mich wieder „runterzuholen“, wenn’s stressig wird oder war?
2 Min. Austausch zu zweit, die individuellen Ideen anschauen und die 4 hilfreichsten raussuchen.
8 Min. im Plenum, um eine kriteriengeleitete Hitliste mit Empfehlungen zusammenzustellen: Welche Ideen sind am unauffälligsten in den beruflichen Alltag zu integrieren? - Wenn es allerdings um eine Problemlösung geht, braucht es schon etwas mehr Luft – z.B. wenn ein Schulkollegium erarbeiten möchte, wie man Schulklassen, die sich „verfeindet“ haben, wieder zu einem entspannteren Miteinander bewegen kann.
Aber auch dann helfen „enge“ Zeitbegrenzungen, damit nicht die in vielen Gruppenarbeiten übliche „Erst mal einen Kaffee holen-Stimmung“ entsteht. Mit z.B. „2 Min. individuell – 4 Min. im Tandem – 8 Min. im Quartett …“ erhöhen Sie die Chance, dass straff gedacht und gesprochen wird – und danach der Kaffee alle belohnt.
Möglicherweise durchzuckt Sie gerade die Idee, dass die zuletzt genannte Fragestellung sich eigentlich gar nicht für solch eine auf „Zügigkeit“ setzende Methode eignet? Ja, vielleicht nicht für den gesamten Prozess einschließlich der detaillierten Planungen „Was machen wir jetzt genau in welcher Reihenfolge, gemeinsam mit welchen Schüler:innen … ?“ Aber um zunächst mal überhaupt einen Fundus an möglichen Ansatzpunkten und vielleicht auch ungewöhnlichen Vorgehensideen zu sammeln, auf jeden Fall. Und die Feinplanung des Deeskalationsprozesses könnte dann gut eine Taskforce aus den Klassenleitungen der besonders involvierten Klassen übernehmen.
Eine nette Variante: „Platzdeckchen“ („Placemat“)
Eine Idee aus dem „Kooperativen Lernen“, wie in Vierergruppen eine bestimmte Frage bearbeitet werden kann, bevor in der Gesamtgruppe diskutiert wird: Auf dem Tisch in der Mitte liegt ein großes Blatt mit 4 Feldern für die individuellen Ideen und einem Zentralfeld für die aggregierten oder ausgewählten Ideen der Tischgruppe.
Es beginnt mit einer stillen Zeit (Jede:r denkt nach und notiert Ideen in seinem:ihrem Feld).
Dann gehen die vier in Austausch zu den individuellen Notizen, im mittleren Feld werden die gemeinsamen Ergebnisse der Tischgruppe festgehalten. Alle sind also sprechend und schreibend aktiv – und haben das entstehende „Gemeinschafts-Produkt“ die ganze Zeit genauso im Blick wie ihre Gesprächspartner:innen.
Danach stellt jede Gruppe ihr Ergebnis im Plenum vor – und dann folgt das vorab Geplante im Plenum (Diskutieren – Abwägen – Auswählen – beste Kombinationen bauen …).
Quellen:
https://www.uni-bielefeld.de/lehre/digitale-lehre/digital-lehren/Think-Pair-Share.pdf
https://liberatingstructures.de/liberating-structures-menue/1-2-4-all
Brüning / T. Saum: Erfolgreich unterrichten durch Kooperatives Lernen. NDS Verlag, Essen, 2006
(ja, die Quelle ist schon älter – aber sie erklärt nicht nur die Methode sehr gut, sondern auch, wie „Think-Pair-Share“ eigentlich die Grundlage des Kooperativen Lernens und Miteinander-Arbeitens überhaupt darstellt.)
Für die, die (auch) online moderieren: Die „Komfortzonen“ haben zu „1-2-4-alle“ eine Vorlage für das Whiteboard-Tool „Mural“ erstellt. https://app.mural.co/template/debcca2f-0f7e-470e-9b25-ac0dd567cd8b/5606cb78-097b-4780-a675-bcbde95586d2
Anwendungsbeispiel: Wie „Think-Pair-Share“ auch bei einer Konfliktklärung helfen kann
Im Bürgerhaus Weststadt[1] gibt es zunehmend Stress unter den Nutzer:innengruppen: Gezänk, wer das attraktive Forum benutzen darf. Ärger über dreckige Hinterlassenschaften in der Küche. Und über Lärm. Notwendige Kabel für die Mediennutzung sind ständig verschwunden. Nach Abendveran-staltungen sind nicht alle Fenster verschlossen. Und – und – und …
Die beiden Sozialarbeiter:innen planen einen Workshop mit Vertreter:innen des Seniorenkreises, des Medienteams, der Tischtennisgruppe und des Theater-Ensembles. Sie moderieren den Workshop und sichern auf diese Weise einen guten Rahmen – die Lösungen sollen aus den beteiligten Gruppen kommen.
Und das ist ihr Plan für den Ablauf des Workshops:
Wir bilden 6 Tische mit je 1 Vertreter:in jeder Gruppe, auf jedem Tisch ein Flip-Chart-Bogen als „Tischdecke“. Wir arbeiten in 4 Phasen an der Frage : „Was kann ich / was können wir tun, damit wir alle wieder gemeinsam mit Spaß und ohne uns über „die anderen“ zu ärgern, das Bürgerhaus nutzen können?“
Phase 1 „Think“: Für 2 Min. denkt jede:r für sich selbst über die Fragestellung nach und notiert erste Ideen:
Phase 2 „Pair“: Alle am Tisch tauschen sich aus über ihre Ideen, schreiben die interessantesten in die Mitte und suchen davon die besten 4 Ideen aus, wie es im Bürgerhaus besser gehen kann
(10 Min.).
Phase 3 „Share“: Tische 1 und 2 tauschen sich aus über ihre „besten Ideen“ aus der Mitte, Tische 3 und 4 und Tische 5 und 6 ebenso.
Jedes „Tischtandem“ einigt sich auf die „allerbesten“ 4 Ideen, wie man schnell eine positive Wende in das gemeinsame Leben im Bürgerhaus bekommt (18 Min.)
Phase 4 „Share“ im Plenum: Jedes Tischtandem schickt 2 Vertreter:innen in den Innenkreis, die diese „allerbesten 12 Ideen“ begutachten, priorisieren, die 4 Ideen mit dem schnellsten Effekt („unsere allerallerbesten Ideen“) für ein besseres Zusammenleben heraussuchen und dann mit allen Anwesenden – die in dieser Phase zunächst nur zuhörten – rückkoppeln (30 Min).
Und so bekommt manch gute Idee („pro Raum eine Kiste für Kabel, Gebrauchsanleitungen usw.“) noch eine Optimierung: „Bitte ein Foto der richtigen Stecker und Fernbedienungen in den Deckel kleben.“
Während eine der beiden Sozialarbeiterinnen als Moderatorin das Gespräch unterstützt, notiert die andere auf einer Metaplanwand mit, was noch ergänzt wurde.
Und zum Abschluss dann der konkrete Maßnahmenplan: Wer übernimmt was? Wann treffen wir uns wieder, um drüber zu reden, ob unsere Verabredungen gut funktioniert haben und die Situation im Bürgerhaus nun tatsächlich entspannter ist? (15 Min.)
Zusammengefasst: Wozu beide Methoden dienen
„Puh – das ist ja komplizierter als gedacht!“ mag Ihnen jetzt durch den Kopf gehen. Letztlich nicht, finden wir. Wenn Sie als Moderator:in den Ablauf einer Beratung und Entscheidung zu einem komplexen Thema so konsequent durchdenken, können Sie gelassener in die Moderation gehen. Und dann, wenn nötig, auch einmal „unterwegs“ etwas verändern. Aber Ihr Kopf wird freier sein für die aktuelle Feinsteuerung des Gesprächs, wenn Sie sich um den Rahmen, die grobe Abfolge keine Gedanken mehr machen müssen.
Über die einzelnen Einsatzzwecke hinaus, die bei den einzelnen Methoden jeweils benannt sind, dienen diese Besprechungsmethoden dazu,
- den Besprechungsteilnehmer:innen Orientierung zu geben (jede:r weiß, „wo wir gerade sind“),
- Ihnen als Moderatorin das Leben zu erleichtern, weil Sie nicht immer alles sprechend regeln müssen (die Visualisierung zeigt, was jetzt gerade die Frage ist – und was erst später dran ist, leere Felder „schreien danach“, gefüllt zu werden, …)
- den Teilnehmer:innen zu ermöglichen, sich zielgerichtet einzubringen – und auch: Ihnen beim Moderieren zu helfen,
- die Vielfalt der Beiträge zu fördern,
- und mit all dem auch dem Problem, das Sie lösen, oder der Frage, die Sie klären wollten, zu einem guten Ende zu verhelfen.
Das alles konzentriert und in überschaubarer Zeit. Sehr oft sogar mit Spaß an der Arbeit – weil das handwerkliche „Machen“ und das stetig begleitende visuelle Feedback das Denken erleichtern.
Und – so unsere Erfahrung – es funktioniert in Online-Workshops (mit Hilfe von Online-Whiteboard-Tools) genauso wie in Präsenz-Workshops.
Wir freuen uns über Rückmeldungen, wenn Sie eine der Besprechungs-Methoden ausprobiert haben. Hat die ausführliche Anleitung geholfen? Haben Sie zusätzliche Tipps?
[1] Das Fallbeispiel ist anonymisiert und dafür in einen anderen Kontext „versetzt“.