Stadt Bochum, Emschergenossenschaft/Lippeverband, Stadt Duisburg, Ruhrverband, Stadt Essen …. und knapp 20 weitere Verwaltungen, Verbände und städtische Gesellschaften im Ruhrgebiet: Stadtgrenzen, Organisationsgrenzen spielen keine Rolle, wenn es in den Organisationen Mitarbeitende gibt, die zusammenarbeiten wollen. Diese Verwaltungsrebell*innen haben sich selbst damit beauftragt, gemeinsam frischen Wind in die Verwaltung zu bringen. So ist das „Netzwerk agile Verwaltung“ entstanden.
Vom 23. bis 26. November veranstaltet das Netzwerk nun bereits das 3. Forum „Agil in die Zukunft“ – dieses Mal als Online-Konferenz. Mit bewährten Formaten wie dem „Schwarzmarkt des Wissens“ und dem Praxislabor. Aber auch mit neuen Formaten wie den „Kreativ-Sessions“, dem „Agilen Morgenkaffee“ und „Wellbeing-Sessions“. Ein breites Angebot, aus dem man sich ein individuelles Programm zusammenbauen kann (dazu gleich mehr).
Einladend und lebendig hatten wir das Netzwerk auch schon bei ihrem zweiten Forum im Februar 2020 erlebt: authentisch, nicht hochglanzgebügelt, sondern praxisnah, mit viel Witz und viel Ernsthaftigkeit zugleich. Nun wollten wir genauer wissen, wie das Netzwerk entstanden ist, was dort gerade passiert und wie man mitmachen kann, und haben uns mit drei Vertreter*innen aus dem Koordinierungskreis per Videokonferenz „getroffen“.
Wer das Ruhrgebiet kennt, weiß, wie oft in diesem Schmelztiegel von 5 Mio. Einwohner*innen von den Chancen regionaler Kooperation die Rede ist und wie regelmäßig dann doch Kirchturmdenken obsiegt. Darum kümmert sich das Netzwerk nicht. Die Netzwerker*innen machen einfach – suchen sich Felder für Austausch, Tipps und Kooperation, gern ein wenig unterhalb der „ganz großen Räder“. Und sind damit erfolgreich: Weil nicht immer wieder etwas neu ausprobiert werden muss, was in Verwaltungen rechts und links bereits erprobt wurde. Weil man sich gegenseitig stützt, auch ungewöhnliche Wege zu gehen. Und weil man manche Themen auch besser gemeinsam vorantreiben kann. Wie lebendig es in der Truppe zugeht, haben wir auch im Interview erlebt. Dr. Heike Goebel (Emschergenossenschaft/Lippeverband), Michaela Claas (Stadt Bochum), und Dr. Thomas Griebe (Stadt Duisburg) aus dem Koordinierungskreis haben uns in ziemlichem Tempo teilhaben lassen, was bisher geschah.
Wie alles anfing …
Die „Zukunftsinitiative ‚Wasser in der Stadt von morgen‘ “ war der Vorläufer – und gleich eine echte „Wumme“. 16 Städte der Emscherzone (Kern des Ruhrgebiets) taten sich 2014 mit der Emschergenossenschaft zusammen und arbeiten seitdem konsequent zusammen, um dieses zentrale Thema der Daseinsvorsorge zu bearbeiten: Die zukünftige Anpassung an den Klimawandel auf regionaler Ebene ist das zentrale Anliegen der Zukunftsinitiative – in enger Zusammenarbeit zwischen Wasserwirtschaft, Stadtentwicklung, Freiraumplanung, und Straßenbau (www.wasser-in-der-stadt.de).
Dieses „Raus aus den Silos“-Prinzip wird nun konsequent weiterverfolgt. Unter der Leitlinie „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ hat die Zukunftsinitiative konkrete gemeinsame Projekte für die kommenden 20 Jahre verabredet. Also doch: Wenn’s ernst wird, kann das Ruhrgebiet zusammenarbeiten.
Hier wurden – anfangs unterstützt durch einen Coach – schon früh agile Vorgehensweisen genutzt: „Wir haben offen und flexibel, aber auch nach sehr klaren Spielregeln gearbeitet“, berichtet Thomas Griebe aus der Anfangszeit. Auch Prof. Dr. Uli Paetzel, der Vorstandsvorsitzende von Emschergenossenschaft/Lippeverband, unterstützte dieses neue kooperative „Betriebssystem“ von Beginn an.
Basierend auf den agilen Arbeits-Prinzipien aus dem Versuchsraum „ZI Wasser“ bildete sich 2018 das „Netzwerk Agile Verwaltung“, um diesen Erfahrungsschatz munter auf andere Arbeitsfelder zu übertragen, darüber in Austausch zu kommen und andere an diesem Austausch teilhaben zu lassen. Deshalb wurde auch schon bald das erste Forum veranstaltet – im November 2019. Im Februar 2020 dann das zweite, und nun das dritte Forum als Online-Veranstaltung.
Was hat die Einzelnen bewogen, dabei zu sein? „Ich fand das einfach großartig“, so Heike Goebel. „Diese Dynamik, diese Energie, diese Zusammenarbeit, diese enge Orientierung an unseren Kunden – und all das voranzutreiben. Wir probieren viel aus, wir passen an, wir entwickeln weiter.“ „Ich war mal (eher zufällig) zu einem Expertenforum der Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von morgen“ eingeladen. Und dann habe ich mich von der dortigen Dynamik anstecken lassen und im Prinzip selbst beauftragt“, bringt Michaela Claas ihren Weg ins Netzwerk kurz und knapp auf den Punkt. Und dann habe sie anschließend auch den nötigen Freiraum erhalten, weil diese Vernetzungsarbeit ganz offensichtlich auch Nutzen in die eigene Verwaltung brachte. „Es ist einfach schön, das alles eben nicht nur im eigenen Saft zu tun.“ „Heike Goebel hat mich beim 2. Forum eingeladen, mitzumachen“, erinnert sich Thomas Griebe. „Und dann war ich dabei.“
Der Koordinierungskreis traf sich zunächst etwa einmal pro Quartal. „Inzwischen sind wir bei einem Monats-Rhythmus“, schildert Michaela Claas die Arbeitsweise. „Und vor einem Forum treffen wir uns dann noch öfter.“ „Gut ist, dass das sehr niedrigschwellig ist. Wir bereiten was vor, das kostet erst mal nichts, man kann sehr leicht dazustoßen. Und wenn ich jetzt vorbereitend für das Forum im November gefragt habe, ob jemand von seinen Erfahrungen berichtet oder eine Methode vorstellt, machen alle mit“, berichtet Heike Goebel. Und setzt gleich nach: „Ein Wunsch wäre allerdings, dass die Organisations- und Personalentwickler*innen in den einzelnen Häusern uns noch verstärken würden.“
Die Foren
„Agil in die Zukunft“ – so heißen die Veranstaltungen des Netzwerks. Gezielte Impulse im Plenum (z.B. aus Karlsruhe oder Köln) und interessant und lebendig gestaltete Räume für Austausch animieren zu aktivem Wissenstransfer. Und bringen gar nicht selten aus dem gemeinsamen Gespräch heraus neue Ideen hervor. Man lernt Kolleg*innen aus Nachbarstädten und anderen Organisationen kennen, auf die man später bei der einen oder anderen konkreten Frage wieder zugehen kann.
Und damit wirklich viele vieles mitkriegen, stellt das Netzwerk freigiebig die Charts und Arbeitsergebnisse ins Netz (www.netzwerk-agile-verwaltung.nrw oder www.jetzt-agil.nrw) – zum Nachlesen für alle, die beim Forum nicht dabei sein konnten:
Forum November 2019
Forum Februar 2020
(Bitte nicht irritieren lassen: Das Netzwerk Agile Verwaltung ist unter dem Namen „Forum Agile Verwaltung“ gestartet, hat sich später aber umbenannt, um eine Namens-Doppelung mit dem in Ba-Wü beheimateten „Forum Agile Verwaltung“ zu vermeiden.)
Für November 2020 war das nächste Forum geplant, wie die vorhergehenden sollte es ein Präsenztreffen werden. Corona durchkreuzte diese wie so viele andere Konferenzen auch. Ausfallen lassen kam gar nicht in Frage. Also digital. Aber es wird nicht einfach das eintägige Programm in eine Videokonferenz „übersetzt“, sondern das Netzwerk entwickelte dann gleich noch ein neues Format: Konferenz im Restaurant-Modus.
Die Themenvielfalt lohnt sich:
- „Kulturveränderung und Changemanagement – Was die Rolling Stones mit der Sendung mit der Maus zu tun haben!“,
- „Die digitale Kaffeepause – Teamgemeinschaft stärken“,
- „Wie ticken die Kund*innen? – Mit der Methode Persona interne & externe Kundenanforderungen erkennen!“,
- „Ein Date mit den Trends – Ideen generieren für eigene Innovationsprojekte“ oder „Eigenverantwortlich und agil im Team arbeiten“
- „Koordination contra Kakophonie – Herausforderungen als Scrum-Master meistern“
- „Digitale Workshops auf die Beine stellen“
Das ist nur eine Auswahl aus dem vielfältigen und spannenden Angebot zwischen Willkommen und Kennenlernen am Montag und Resümee und Vereinbarungen zum weiteren Zusammenwirken im Netzwerk am Donnerstag. Erholungsinseln dazwischen (Agiler Morgenkaffee, „Raus aus dem Schnitzelkoma“) inklusive.
Mehr zum Programm und zur Anmeldung und weitere Informationen finden Sie hier: www.netzwerk-agile-verwaltung.nrw oder jetzt-agil.nrw
Das Geheimnis des Erfolgs – und Lessons Learned
Zum 1. Forum kamen 45 Personen aus 23 Organisationen, zum 2. Forum bereits 58 Teilnehmende – auch wenn die Veranstaltung gar nicht groß öffentlich beworben wurde und es bis vor kurzem kaum Infos dazu im Netz gab. Auffällig ist für uns die große Bereitschaft „teilzugeben“. Beim „Schwarzmarkt des Wissens“ im Februar 2020 berichteten zahlreiche Projekte aus der Verwaltung über ihre Erfahrungen, und auch beim diesjährigen Forum findet man fast ausschließlich Sessions „aus der Verwaltung für die Verwaltung“.
„Warum glaubt ihr, sind so viele bereit, bei einem Forum aktiv mitzumachen?“ fragen wir neugierig. Weil es mehr engagierte Menschen in Verwaltungen und öffentlichen Organisationen gibt, als man „draußen“ denkt, davon sind alle im Koordinierungskreis überzeugt. „Vielleicht auch, weil wir positive Energie ausstrahlen!“ ergänzt Michaela Claas mit Augenzwinkern. In der Tat: Die Freude daran, etwas zu tun und gemeinsam zu bewegen, der Spaß daran, wenn das gelingt, vermittelt sich sogar per Video. „Mal gucken – wie könnte es gehen?“, ist die Grundhaltung, die alle ausstrahlen.
Obwohl sie auch in ihren „eigentlichen“ Jobs als Organisationsentwicklerin, als Referentin des OB in Bochum, als Leiter der Abteilung Umweltschutz in Duisburg mehr als genug zu tun haben. Diese Zusammenarbeit über den Tellerrand hinaus gehört für sie einfach dazu. „Wenn wir hier Verabredungen treffen, wer was tut, dann geschieht das auch“, schildert Michaela Claas einen einfachen, aber eindrucksvollen Indikator. „Das ist sonst längst nicht überall selbstverständlich“. Und der persönliche Ertrag sei ja auch spürbar: „Ich stelle bei mir in der Verwaltung viel vor von dem, was wir hier gemacht haben oder was ich so nebenbei von den anderen mitbekommen habe.“ „Wir lernen ja auch ganz viele praktische Methoden und kooperative Lösungswege voneinander“, ergänzt Thomas Griebe. Und die ließen sich eben auch gut auf andere Themen und Fragestellungen übertragen. „Zum Beispiel, dass man Konflikte in einem Gremium gut in einem Stuhlkreis besprechen kann – das finden manche ein wenig „esoterisch“, aber dann kann keiner die Kalaschnikow hinter dem Tisch verstecken, und das entschärft.“
Und noch einen Vorteil bietet das Netzwerk: Manches, das in einer einzelnen Verwaltung auf ein dickes Brett stößt, was kaum zu durchbohren ist, kann man als Gemeinschaft leichter in Gang setzen und einfach mal ausprobieren. Weil es dann ein wenig „unter dem Radar“ läuft. Wirksam sein, ohne unnötig Kraft zu verausgaben. „Die Verpflichtungserklärung zur Zukunftsinitiative ist ein schönes Beispiel, wie die Kombination aus Selbstbeauftragung und gegenseitiger Unterstützung Früchte trägt“, berichtet Heike Goebel. „Eine einzelne Kommune hätte solch eine Verpflichtung nie in Gang gebracht, für eine allein wäre es ein zu dickes Brett gewesen. Wir haben dann vereinbart, in allen Kommunen parallel die gleiche Vorlage einzubringen. Und diese interkommunale Zusammenarbeit hat funktioniert!“
Das klingt alles so leicht … „Gibt’s auch etwas, was nicht funktionierte bei euch? Seid ihr auch auf Hürden gestoßen?“ fragen wir. „Ja“, kommt prompt und ehrlich zurück. „Wir hatten die Idee, dass zwischen den Foren kontinuierlich an konkreten Themen gearbeitet wird. Aber die ‚Themen-Teams‘ kamen nicht so richtig ans Laufen. Das funktioniert noch nicht gut, geht im Alltag allzu oft unter“, berichtet Michaela Claas. „Obwohl: Jetzt hat gerade eine „Spätzünder-AG“ mit einem digitalen kollegialen Austausch zu Fragen der Anforderungen an Führungskräfte begonnen.“ Manches braucht eben nur ein wenig Zeit.
Austausch-Portal, Mobile Praxis-Labore & mehr
Im Moment konzentrieren sich alle Kräfte auf das nächste Forum Ende November. Aber es soll natürlich danach weitergehen, das will man sich auch von Corona nicht durchkreuzen lassen. Und so geht das Netzwerk mit heiterer Beharrlichkeit in die Zukunft:
Um Erfahrungsaustausch und Kontakte zu verstetigen, ist derzeit ein Portal in Vorbereitung („connect: das Möglichkeiten-Portal“), das über „Suche – Biete“-Kleinanzeigen innovative, agile, erfahrungsneugierige Mitarbeitende aus dem öffentlichen Dienst zusammenbringen will. „Ganz niedrigschwellig, das ist uns wichtig – wir lernen aus der Erfahrung, dass „noch eine Arbeitsgruppe“ nicht so gut funktioniert hat“, erläutert Heike Goebel und lockt: „Wir werden auf dem Forum vermutlich schon die ersten Unterstützungsangebote und Gelegenheiten zum Mitmachen vorstellen.“
In „Mobilen Praxis-Laboren“ möchte das Netzwerk Erfahrungen mit neuen, agilen Arbeitsweisen teilen und Methodenlernen und Ausprobieren ermöglichen – kollegial und auf Augenhöhe. Nicht nach Lehrbuch, sondern nach Praxis. Coronabedingt ein wenig geschoben, aber fest eingeplant.
Das Netzwerk hofft auf noch mehr Mitstreiter*innen, um die notwendigen Transformationsprozesse im öffentlichen Dienst aktiv zu pushen: Von analogen zu digitalen Prozessen, von fossiler zu konsequent erneuerbarer Energie und ebenso bei vielen anderen fachspezifischen Veränderungen. Um diese Transformationen hinzubekommen, sind agile Vorgehensweisen und flexible Tools nötig. Erfahrungsaustausch beschleunigt das Vorankommen. „Deshalb brauchen wir noch mehr Leute, die das Know-how aus den verschiedenen Städten zusammenbringen und aktiv integrieren.“, so die Zukunftsvision des Netzwerks. Und das eben nicht nur durch Verträge auf politischer Ebene, sondern vor allem in Kooperation auf den vielen „kleinen Dienstwegen“, die möglich sind, wenn man nur will.
Kolleg*innen herzlich willkommen!
Und wenn jetzt neue Interessierte zu euch stoßen, was hätten die davon? „Dasselbe wie wir: Fitter werden in der Anwendung agiler Tools und anderer Methoden zum Beispiel“, kommt prompt von Michaela Claas. “Die ‚Agile Tagesordnung‘, die ich bei der Emschergenossenschaft kennengelernt habe, ist inzwischen auch bei uns Alltag. Und beim Organisieren der Foren lerne ich auch eine Menge – jetzt zum Beispiel, wie man digitale Workshops organisiert.“ Und auch die Zusammenarbeit selbst mache Spaß. „Ich gehe mit guter Laune zum Treffen und kehre mit guter Laune zurück, obwohl ich neue Aufgaben im Gepäck habe.“
Thomas Griebe ergänzt noch einen weitergehenden Blick: „Aus dem heraus, was wir hier tun und miteinander erproben, können wir gestalten – und das ist unser Gewinn! Wir gestalten als öffentliche Verwaltung ganz entscheidend die Zukunft!“
Was uns schwer beeindruckt: Hier sitzt kein Team beieinander, das den expliziten Auftrag „Bitte agile Methoden einführen“ erhalten hat. Keine Innovationseinheit, die mit besonderen Ressourcen ausgestattet ist. Es sind Praktiker*innen, die ihren Job machen – und genau das aber eben anders machen wollen. Von ihrem jeweiligen fachlichen Feld ausgehend. Und dabei gemeinsam lernen und andere mitnehmen. Selbstbeauftragt, mit ungeheuer viel Spaß und Elan. Dieses Netzwerk zeigt, was und wie viel Verwaltungsrebell*innen aus der Praxis heraus entwickeln, verändern und bewirken können. Und das auch noch (Verwaltungs-)grenzüberschreitend.
Bildrechte Beitragsbild: Quelle Ruhrverband