Gemeinsam Probleme lösen in einer Stunde – mit der ViT-Methode

Vor einigen Jahren bekam ich den Auftrag ein Qualitätsmanagementseminar für Führungskräfte aus Kommunalverwaltungen durchzuführen. Spontane Reaktion: Puh, wie kriege ich Leben in dieses Thema, bei dem viele spontan an eher trockene Modelle wie ISO 9000 denken?! Bei Recherchen stieß ich dann in einem Buch auf die ViT-Methode. „ViT“ steht für „Verbesserungen im Team“ und ist eine Methode, mit der Teams Probleme lösen, Prozesse optimieren und ihre Zusammenarbeit verbessern können – und das in maximal 60 Minuten. Klingt zunächst zu einfach, um wahr zu sein, aber nachdem ich die Methode mittlerweile in verschiedenen Gruppen ausprobiert habe, muss ich sagen: Das funktioniert ziemlich gut!

Vieles an ViT[1] erinnert an Scrum: Es gibt einen Problemspeicher (analog zum „Product Backlog“), die Methode nutzt ein „Board“ zur Visualisierung des Arbeitsprozesses und gearbeitet wird in strikten Zeitfenstern („Timeboxes“) und entlang eines strukturierten Ablaufs (analog zu den Ritualen in Scrum).

„Ha!“ dachte ich daher spontan, „da hat sich mal wieder jemand an Scrum bedient und verkauft das als etwas ganz Neues!“. Entsprechend staunte ich nicht schlecht, als ich dann sah, dass der Beitrag[2] schon im Jahr 1999 erschienen war – und damit zwei Jahre vor dem agilen Manifest. „ViT“ ist damit gleichzeitig ein schönes Beispiel dafür, dass die viele Ideen aus der agilen Welt nicht neu sind – und dass manches, was man heute als „agil“ bezeichnen würde, aus ganz anderen Wurzeln stammt und nun zu Recht wertgeschätzt und wieder aufgegriffen wird. In diesem Fall: Der gute alte KVP (Kontinuierliche Verbesserungsprozess).

Was ist ViT?

Zunächst: ViT ist ein umfassendes strategisches Konzept, mit dem sich organisationsweit kontinuierliche Verbesserungsprozesse einführen und nachverfolgen lassen (einen ersten Eindruck davon gibt die Abbildung, wer mehr erfahren möchte, kann sich an die Karer Consulting wenden[3]).

Ich möchte mich hier auf ein Kernelement konzentrieren, das Sie auch punktuell innerhalb eines Teams bzw. Organisationsbereichs anwenden können: die „ViT-Sitzung“.

In einer ViT-Sitzung entwickeln Sie in maximal einer Stunde gemeinsam Lösungsansätze und konkrete Maßnahmen zu einem Problem, das Ihre Arbeit behindert. Was „Probleme“ sind, lässt sich dabei recht weit fassen. Die Ausgangsfrage ist: „Was hindert uns immer wieder, unsere tägliche Arbeit mit möglichst wenig Aufwand, geringen Reibungsverlusten, in einer möglichst guten Qualität und zum richtigen Zeitpunkt zu erledigen?“ (Wahren 1999, S. 152). Hier ein paar Beispiele aus dem Verwaltungskontext:

  • „Bauherren haben bei der Bauantragsbearbeitung Kontakt zu verschiedenen Sachbearbeitungen – der Bauverwaltung fehlt der Überblick.“
  • „Die interne Postverteilung in unserem Organisationsbereich funktioniert nicht gut – in zeitkritischen Vorgängen gehen wichtige Tage verloren.“
  • „Die Vorauswahl von Bewerber*innen im Stellenbesetzungsverfahren dauert ewig – häufig springen gute Leute in der Zwischenzeit ab.“
  • „In unseren Teambesprechungen halten wir den Zeitrahmen nicht ein – ständig überziehen wir oder es fallen TOPs hinten über.“

Ablauf einer ViT-Sitzung

Was Sie für eine ViT-Sitzung brauchen: Eine mit Papier bespannte Pinnwand (oder alternativ: 2 Flipcharts, die Sie quer übereinander an eine Wand hängen). Außerdem einen Stift je Person und ggf. noch Klebezettel.

Auf der Pinnwand skizzieren Sie Struktur der ViT-Sitzung. Das sieht dann in etwa so aus:

Es hat sich bewährt, dass eine Person die Moderation der Sitzung übernimmt – sie dokumentiert Ergebnisse auf der Pinnwand und achtet sehr konsequent auf die Einhaltung der Zeitfenster (Timer / Eieruhr stellen!).

Der Ablauf einer Sitzung ist immer gleich und erfolgt in vier Schritten:

Schritt 1: Problem definieren und abgrenzen (5 Min.)

Hier geht es darum, ein gemeinsames Verständnis des Problems zu erlangen und es möglichst präzise abzugrenzen.

Schritt 2: Ursachen finden (20 Min.)

Im Rahmen eines Brainstormings suchen Sie nach Ursachen für das Problem. Dazu nutzen Sie ein „Ishikawa-Diagramm“ (auch „Fischgräten-Diagramm“ genannt). Die Hauptgräten beschriften Sie mit Einflussfaktoren, die das Problem potenziell hervorrufen oder verstärken (die blauen Zettel in der Abbildung). Während des Brainstormings sammeln Sie dann entlang dieser Einflussgrößen konkrete Ursachen für das Problem und notieren sie an den Gräten.

Schritt 3: Ursachen gewichten (5 Min.)

Anschließend bewerten Sie gemeinsam, welche Ursachen Sie für besonders wichtig halten. Ich finde es hilfreich, in die Bewertung auch einfließen zu lassen, ob Ursachen veränderbar sind, und frage an dieser Stelle daher: „Welche Ursachen sind prinzipiell beeinflussbar und erscheinen Ihnen besonders wichtig für die Lösung des Problems?“.

Die Abstimmung erfolgt am einfachsten und schnellsten per Punkteabfrage. Bewährt hat sich für mich: „Jede Person darf drei Punkte setzen, davon maximal zwei bei einer Ursache“. Die Ursachen mit den meisten Punkten kreisen Sie anschließend ein.

Schritt 4: Lösungen finden (20 Min.)

Zu den eingekreisten Ursachen suchen Sie nun nach Lösungsansätzen. Wichtig ist, dass diese in sehr konkrete Maßnahmen münden, die Sie auf der Pinnwand festhalten (WER kümmert sich bis WANN um WAS?).

Eine ViT-Sitzung umfasst maximal 60 Minuten, d.h. die übrigen 10 Minuten stehen Ihnen als Puffer zur Verfügung.

Tipps zum Experimentieren mit ViT

Zunächst können Sie im Team mit diesem Workshop-Format experimentieren. Wenn sich die Methode bewährt hat, können Sie dazu übergehen, ViT-Sitzungen regelmäßig durchzuführen – zum Beispiel im Anschluss an jede x.te Dienstbesprechung. Indem Sie regelmäßig nur eine Stunde Zeit in den Kalendern blocken, schaffen Sie die Basis für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Ein kleiner organisatorischer Schritt, aber ein großer Sprung für Ihr Team 😊

Am besten legen Sie einen „Problemspeicher“ an, in dem Sie Probleme sammeln und priorisieren.[4] In den regelmäßigen ViT-Sitzungen knöpfen Sie sich dann jeweils das oberste (also wichtigste) Problem Ihres Problemspeichers vor und erarbeiten Maßnahmen zur Problemlösung, die Sie dann wiederum zwischen den ViT-Sitzungen umsetzen.

Nicht immer lassen sich Probleme gut innerhalb eines Teams klären. Gerade bei Arbeitsprozessen, an denen unterschiedliche Organisationsbereiche beteiligt sind, ist die Sichtweise und Unterstützung anderer wichtig oder sogar erforderlich, wenn Sie wirklich etwas verändern wollen. Stellen Sie sich die Frage: Wer sollte dabei sein, wenn wir über dieses Problem sprechen? Wer könnte eine hilfreiche Perspektive einbringen und Dinge sehen, die wir selbst nicht „auf dem Schirm“ haben? Wen wollen wir für eine Veränderung gewinnen?

Und auch dann gilt: Nicht immer lassen sich durch eine ViT-Sitzung Probleme vollständig aus der Welt schaffen. Oft hängen strukturelle Fragen daran, die Sie nicht beeinflussen können oder deren Bearbeitung mehr Zeit braucht. Aber Sie finden zumindest erste kleine Ansätze zur Linderung oder auch einen Packan für weitere Schritte im Hause.

Sie können davon ausgehen, dass sich eine Methode wie ViT – wie die meisten anderen agilen Methoden auch – für Sie und die anderen Beteiligten zunächst ungewohnt anfühlt. Durch ein solches interaktives Workshop-Format brechen Sie mit der gewohnten Besprechungskultur – oder anders formuliert: bringen frischen Wind hinein (Kreativitätstechniken statt „Abarbeiten“ von TOPs, strikte Zeitfenster statt „es dauert, so lange es dauert“, ausprobieren statt ausdiskutieren). Hier sind „Verwaltungsrebellen“ gefragt, die sich trauen, solche Arbeitsweisen ins Spiel zu bringen, und die es sich und anderen zutrauen, sich auf entsprechende „Experimente“ einzulassen. Ich kann es nur empfehlen und bin selbst immer wieder erstaunt, wie viel sich erreichen lässt, wenn die richtigen Leute für eine Stunde an einen Tisch kommen, um fokussiert und motiviert nach Lösungen zu suchen.

Anmerkungen

[1] ViT ist eine Marke der Karer Consulting GmbH

[2] Wahren, Heinz-Kurt (1999): Operative Ebene: KVP. In: Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft e.V. (Hrsg.): Erfolgreich durch Lernen. Köln: Wirtschaftsverlag Bachem.

[3] Ansprechpartner ist Herr Philipp Wöste.

[4] Das ViT-System bringt hierzu übrigens ein eigenes Workshop-Format mit – die „Problemspeicher-Sitzung“ – hier ermitteln Sie Probleme, priorisieren sie und klären, wer bei der jeweiligen ViT-Sitzung dabei sein sollte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert