Dass etwas nicht so funktioniert wie gedacht, schreckt Vanessa Burgardt, Organisationsentwicklerin in der Stadtverwaltung Leipzig, keineswegs. Im Gegenteil: Es fordert umso mehr ihre Neugierde, Beharrlichkeit und Energie heraus: Woran genau hat’s gehakt? Wie geht es denn trotzdem – vielleicht auf einem anderen Weg? Und dann beherzt ran, Ärmelaufkrempeln und einen langen Atem haben: Das kennzeichnet Vanessa Burgardt – auf ihren privaten Reisen in ferne, fremde Länder wie auch auf ihren beruflichen Wegen.
Wir, meine Kollegin Sabine Schwittek und ich, haben ein langes Gespräch mit Vanessa Burgardt geführt und stellen Ihnen in diesem Blogbeitrag die wichtigsten Ausschnitte daraus vor – und auch, was wir von dieser Verwaltungsrebellin lernen konnten.
Nach einigen Jahren Organisations- und Prozessmanagement-Aufgaben in der Stadtverwaltung München zog es Vanessa Burgardt zurück in Richtung Heimat – konkret: nach Leipzig. Für die Stadt Leipzig arbeitete sie in einem stadtweiten Zentralisierungsprojekt mit, aber die Münchner Erfahrungen ließen sich nicht 1:1 auf die Leipziger Verwaltung übertragen: „Es funktionierte nicht – irgendwie tickt wohl doch jede Verwaltung anders“, so sieht Vanessa das im Nachhinein.
Eine Ausbildung in Organisationsentwicklung und vor allem eine Zusatzqualifikation in Systemischer Beratung waren dann hilfreiche Ergänzungen zum Know-how in Organisationslehre und Prozessmanagement: „So kam ich mit den Kolleg*innen immer besser in die gemeinsame Arbeit hinein.“ Den letzten Baustein steuerte dann die Erkenntnis bei, „dass wir uns im methodischen Vorgehen noch besser verstehen müssen, um gemeinsam zügig voranzukommen.“ Als didaktisches Modell für diesen gemeinsamen Weg wählte sie „Design Thinking“ aus und führte das im Auftrag des Hauptamtsleiters als Baustein zur „modernen Arbeitswelt“ in Leipzig ein. „Ich habe da gemerkt, dass das doch auch für Verwaltung geht!“ Mit ihrer Ausbildung zum „Innovation Coach“ landete sie schließlich bei einem aus dem Design Thinking abgeleiteten Modell, das sich noch besser auf Dienstleistungen anwenden ließ: „Systematic Creative Thinking“. Dieses Modell hat in Leipzig „gefunkt“, es ist jetzt die Basis für Trainings im kreativen Problemlösen.
Wie so ein Arbeitsprozess visualisiert werden kann, der nach dem Ansatz des Design Thinking angelegt ist, zeigt anschaulich das Foto zum Start dieses Blogbeitrags: Es stammt aus dem Design Thinking Prozess zum Thema moderne Arbeitswelten, 2017.
Systematic Creative Thinking
Der methodische SCT-Ablauf bietet ein klares impulsgebendes Geländer, das hervorragend für die unterschiedlichsten Fragestellungen zu nutzen ist, wie sie z.B. schon in den Trainingsseminaren konkret bearbeitet wurden – vom „Es wäre schön, …“ bis zum „So packen wir das an!“:
„Es wäre schön, wenn es gelingt, die bereichsübergreifende Zusammenarbeit zu fördern!“
„Ich wünsche mir, dass das Gebäudemanagement moderner und digitaler denkt!“>
„Es wäre schön, wenn die Stadt nachhaltiger bauen würde!“
„Es wäre schön, wenn man bei Aufträgen und Projekten rechtzeitig im Vorfeld gemeinsam das Ziel bzw. die Vision klärt, um die richtige Richtung einzuschlagen!“
Dieses Lernen an praktischen Beispielen überzeugte, insbesondere die gezielten Fragetechniken, die das Vorgehen begleiten. Und der Push, den diese konkrete Methode auslöst: Man kann dort einsteigen, wo man gerade steht, bekommt einen klaren Wegweiser und muss „nur noch“ losgehen.
Weil es für die Trainings schon bald nach dem Start im Sommer 2018 schnell Wartelisten gab, werden 2019 weitere Workshops angeboten.
Wasser in den Wein
So überzeugend und anregend die Methode sich in den Workshops darstellte, so begeistert die Teilnehmenden aus den Workshops herauskamen – kurz drauf stellte sich das ein, was wir alle aus vielen Organisationsentwicklungsvorhaben kennen: Wenn es um den Transfer in den Alltag geht, erweist sich dieser mit all dem bereits laufenden Geschäft und den Gepflogenheiten als mächtig, manchmal zu mächtig: „Wir haben dafür einfach keine Zeit.“ „Das ist nicht oben auf meiner Liste.“
Auf unsere Frage, woher denn überhaupt Rückenwind kommen könnte, muss Vanessa Burgardt nicht lange nachdenken: „Wir müssen noch mehr Führungskräfte gewinnen! Wenn eine von denen mal sagen würde „Da habe ich Bock drauf!“ und das mal an einem Thema durchziehen und dann auf der Führungsklausur begeistert drüber berichten würde!“ Sie hofft, dass die Themen Digitalisierung und E-Akte gute Gelegenheiten bieten, dass sich solche Promotor*innen finden.
„Agile Woche 2018“ – Neugier wecken in der Stadtverwaltung Leipzig
Parallel zur Einführung der „Systematischen Kreativität“ organisierte Vanessa Burgardt im September 2018 eine „Agile Woche“ mit vielen Schnupperangeboten zu agilen Arbeitsweisen. (nachzulesen hier im Blog des Forums Agile Verwaltung). Ein dickes Brett, das es über ein halbes Jahr zu bohren galt, bis das Budget bereitgestellt war.
Geholfen hat auch die Unterstützung von Kolleg*innen aus dem Forum Agile Verwaltung (https://agile-verwaltung.org), die die Angebote durchführten. Die Resonanz war hervorragend bei denen, die dabei waren: viele Mitarbeitende, jedoch leider nur wenige Führungskräfte. Aber es geht weiter: Die Personalentwicklung spinnt gerade den roten Faden aus der Woche weiter und arbeitet ein Angebot zu Agilen Arbeitsweisen für Führungskräfte aus.
Vanessa Burgardt konzentriert sich derzeit darauf, Interessent*innen aus der ganzen Stadtverwaltung Leipzig zu gewinnen, die mit ihr zusammen als „Fokus-Team Agiles Arbeiten“ ein Netzwerk bilden. Auch hier ist natürlich das Okay der jeweiligen Führungskraft nötig, um pro Monat eine gewisse Zeit für den Austausch einsetzen zu können. Aber es ist eben ein guter Weg, niedrigschwellig voranzukommen und agile und kreative Ideen zu verbreiten, auch wenn es noch nicht überall „von oben“ als sinnvoll und unbedingt förderungswürdig eingeschätzt wird.
Das Amt für kreative Problemlösungen
Vanessa Burgardt teilt ihre Erfahrungen gern – und bietet seit Kurzem mit ihrem „Amt für kreative Problemlösung“ anderen Verwaltungen und Non-Profit-Organisationen an, agile Methoden zu lernen, die beim Problemlösen helfen (genehmigte Nebentätigkeit, klar ?).
Wer mehr dazu erfahren möchte: https://www.amtfuerkreativeproblemloesung.de
Ihr absoluter Vorteil: Sie weiß als jemand, der selbst „drinnen“ arbeitet, was in Verwaltung passt und was nicht. Und sie weiß, wie es geht, wenn es nicht geht „wie geschmiert“, sondern eben nur mühsam Stück für Stück.
Viele werden gerade neugierig auf dieses Angebot. Unter anderem ist eine Zusammenarbeit mit dem „Staatslabor Verwaltung“ der Schweiz, im Zuge der Entwicklung der „Staatsbox“ geplant. Und sie ist für den „Preis für gute Verwaltung“ nominiert, den die Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW Berlin) gemeinsam mit dem Public Service Lab vergibt …
Lernen von Vanessa Burgardt für den eigenen Rucksack
„Vanessa, woher kommen deine Energie und deine geduldige Beharrlichkeit, gerade wenn der Rückenwind der Führungsriege in Leipzig noch nicht so richtig in Fahrt gekommen ist?“ Diese Frage drängt sich uns natürlich am Ende des Gesprächs auf. Vanessa lacht: Weil ich so eine Lernhaltung quasi automatisiert in mir habe. Ich frage mich immer sofort: Wieso? Wie ist das gekommen? Und wie geht das besser, schöner, einfacher – und vor allem auch: mit Spaß?“
„Und wie schaust du auf die kommende Zeit?“ haken wir nach. „Durchaus mit positiver Perspektive.“ antwortet Vanessa Burgardt prompt und ergänzt: „Auch wenn ‚auf Augenhöhe‘ nicht überall gleich in allen Fachbereichen gelingt. Es geht ja auch nicht darum, die Hierarchie aufzuheben. Worum es aber geht: Wir brauchen gute und erfolgreiche Arbeitsweisen. Wir fragen noch zu wenig präzise nach dem Warum? und dem Wozu?, um zielgerichteter zu arbeiten. Ich bin allerdings zutiefst überzeugt, dafür Kolleg*innen zu gewinnen: Wenn die spüren, dass ich mich für sie interessiere, dass ich etwas bewegen und sie unterstützen will, dann lassen sie sich auch auf diese neuen agilen Arbeitsweisen ein. Und durch solche gemeinsamen Arbeitsweisen kann man quer durch die Verwaltung Vertrauen untereinander gewinnen.“ Sie freut sich über eine zweite Kollegin, die diesen Weg gerade durch das Ausarbeiten eines Kommunikationskonzepts unterstützt.
Bis in einer Organisation eine kritische Masse zusammengekommen ist, die dann auch die Führungsebene durchzieht, braucht es eben sehr viel Beharrlichkeit, Ausprobieren, kleine Erfolge sammeln, stapeln und sichtbar machen …. Aus dieser Erfahrung heraus gibt Vanessa dann auch anderen „Pionier*innen“ in vergleichbaren Verwaltungen mit auf den Weg, was sie selbst als hilfreich empfunden hat:
- „Ein langfristiges Ziel haben und nicht aus dem Auge verlieren – dann aber viele kleine, pragmatische Schritte gehen, die Stück für Stück in diese Richtung zielen.
- Für die eigene Resilienz sorgen.
- Sich selbst gestatten, auch einmal zu scheitern.“
Was uns beeindruckt hat: Vanessa hadert überhaupt nicht mit dem, was nicht geklappt hat, schimpft nicht auf andere, spielt nicht auf der „Erst muss …“-Klaviatur. Ihr trocken ausgesprochener Satz „Man muss es sich ja auch ein wenig angenehm machen auf der Arbeit!“ verblüfft nur kurz – denn nach diesem Gespräch ist klar: „Angenehm“ ist für Vanessa Burgardt, ein Ziel vor Augen zu haben („kreativ, aber auch effektiv, auf Augenhöhe zusammen konkrete Probleme lösen“) und dann beharrlich, notfalls mit mehrfachem Anlauf Wege zu suchen, Verbündete zu gewinnen, eine systematische gemeinsame Arbeitsplattform zu entwickeln – und dann konkret loszuarbeiten. Und so geht es eben auch, wenn es noch keine hausweite „Strategie für Agilität oder Kreativität“ gibt!