Agile Organisationsentwicklung in der Verwaltung – die Projektwerkstatt von IT.NRW

Collage mit Bildern der Projektwerkstatt von IT.NRW

Beim Landesbetrieb Information und Technik NRW (IT.NRW) haben einige veränderungsfreudige Menschen ein interessantes Experiment angezettelt. Ohne viel Aufsehen, so dass ich noch nie etwas davon gehört hatte – bis ich 2022 Mareike Weber in einer KIWI-Veranstaltung traf. Was sie berichtete, schien recht unglaublich. Selbstorganisation und hierarchiearmes Arbeiten werden in der Projektwerkstatt von IT.NRW so weit getrieben, wie ich es von Einheiten dieser Größenordnung in der Verwaltung bisher noch nicht kannte. Von diesem beeindruckenden Praxisbeispiel sollte die Welt erfahren! Daher haben Doro und ich die Projektwerkstatt zum Interview eingeladen und möchten euch hier nun von ihrem Experiment berichten.[1]

Das Gespräch haben wir geführt mit: Maria Schmalenbach (Leiterin der Projektwerkstatt), Michael Gerwinat (ihr Vertreter) und Mareike Weber (Referentin und Agile Coach).

Michael Gerwinat, Maria Schmalenbach und Mareike Weber sitzen in den Räumlichkeiten der Projektwerkstatt und lächeln freundlich in die Kamera.

Unsere Gesprächspartner:innen (v.l.): Michael Gerwinat, Maria Schmalen-bach und Mareike Weber. Bild: Projektwerkstatt

Fangen wir zur Einordnung mit der Frage an:

Was ist die Projektwerkstatt?

Die Projektwerkstatt (kurz: „PW“) ist Teil des Landesbetriebs IT.NRW (IT-Dienstleister des Landes NRW und gleichzeitig Statistisches Landesamt). Sie unterstützt Kund:innen der Landesverwaltung und innerhalb von IT.NRW durch (vgl. Abbildung):

  • Planung und Durchführung von Projekten
  • methodische Unterstützung im Bereich Projektmanagement und agile Arbeitsweisen
  • Projektberatung (Ausschreibungen, Vorprojekte, Projektstrukturen, Projekte in Schieflage)
Folie "Was machen wir in der Projektwerkstatt?" Wir machen Projekte, unsere Partner und IT.NRW erfolgreich – kooperativ, lösungsorientiert und innovativ.

Auftrag und Services der Projektwerkstatt. Quelle: Projektwerkstatt

Hervorgegangen ist die Projektwerkstatt am 01.11.2020 aus dem Zusammenschluss des früheren Projektmanagement-Office mit einem Bereich, der sich um die Inbetriebnahme neuer IT-Lösungen kümmerte und zwei Softwareentwicklungsteams. Aus damals ca. 70 Leuten sind mittlerweile über 100 Mitarbeiter:innen geworden. In wenigen Jahren wurde also – neben den umfassenden strukturellen Veränderungen, von denen wir in diesem Beitrag berichten möchten – auch ein rasantes Wachstum bewältigt. Das macht dieses Praxisbeispiel besonders spannend. Denn dass man es in puncto Selbstorganisation und hierarchiearmes Arbeiten so weit treibt, das kannten wir bisher aus dem Verwaltungsumfeld allenfalls von vergleichsweise kleineren Innovationseinheiten.

2023 wurden mehr als 200 Projekte begleitet. Projektinhalte reichen von Infrastrukturmodernisierung über Softwareentwicklung bis zu Innovationsthemen wie KI, Cloud & Co.

Foto von Mistreiter:innen der PW an der Veranstaltung net.work NRW 2023

„net.work NRW“- Tagung 2023 – Mitstreiter:innen aus der PW. Bild: Projektwerkstatt

Darüber hinaus ist die Projektwerkstatt aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen zunehmend auch als Modell und Treiber:in neuer Formen der Zusammenarbeit gefragt. Durch die Initiierung des Netzwerks „net.work NRW“ bringt sie veränderungsfreudige Menschen aus der gesamten Landesverwaltung zusammen.

Warum & Wozu Selbstorganisation? Wie es dazu kam

Die Projektwerkstatt musste glücklicherweise nicht bei null anfangen: Schon im damaligen Projektmanagement-Office wurden bereits viele Entscheidungsbefugnisse an die Mitarbeiter:innen übergeben, und man experimentierte mit agilen und hierarchiearmen Arbeitsweisen. „Da hat ganz viel Befähigung stattgefunden. So hatten wir zum Start der PW bereits Menschen mit den Kompetenzen, die wir brauchten, um etwas zu bauen, von dem wir selbst noch nicht wussten, wie es später aussehen würde“, so Mareike Weber.

Eine große Reorganisation innerhalb von IT.NRW lieferte schließlich die Gelegenheit, um das Ganze 2020 auf eine neue Stufe zu heben. Erfolgreiche Projekte sorgten für das notwendige Vertrauen und die hierarchische Rückendeckung für den umfassenden Veränderungsprozess der Projektwerkstatt.

Folie "Wie arbeiten wir in der Projektwerkstatt?" Werte: Vertrauen, Mut, positive Lern- und Fehlerkultur, gesunde Arbeitsatmosphäre

Werte der Zusammenarbeit in der PW. Quelle: Projektwerkstatt

„Rückblickend war es gar nicht so schwierig“, berichtet Maria Schmalenbach. „Die größte Herausforderung war, unserem Ministerium in einem 20-seitigen Antrag zu erklären, was wir vorhaben. Wir haben bewusst vermieden, Buzzwords wie Agilität oder Soziokratie fallen zu lassen. Auch so waren unsere Ideen noch sehr erklärungsbedürftig. Letztlich hat es funktioniert, weil wir Leute im persönlichen Dialog überzeugen konnten und uns an den Rahmen und die Regeln halten, an denen man im öffentlichen Dienst nun mal nicht rütteln kann. Zum Beispiel ist jede:r in der Projektwerkstatt nach wie vor einer disziplinarischen Führungskraft zugeordnet. Aber wir schöpfen den kompletten Gestaltungsspielraum unserer Regeln und Prozesse zum Nutzen unserer Kunden:innen bei Bedarf gerne aus. So haben wir z.B. die PW nicht weiter hierarchisch untergliedert – wir sind nach wie vor nur ein einziges Sachgebiet. Und das funktioniert auch heute mit über 100 Leuten noch.“

Das Ziel: Durch eine flexible Organisationsform und Arbeitsweise und eine hohe Eigenverantwortung der Mitarbeiter:innen besser aufgestellt zu sein für die Aufgaben der Projektwerkstatt. Denn dort landen üblicherweise komplexe, neuartige, unsichere und häufig auch interdisziplinäre Projekte, die ansonsten in der Organisation von IT.NRW nicht eindeutig verortet werden können.

Folie "Warum Selbstorganisation in der PW?" - so wenig Hierarchie wie möglich, so viele Rollen wie nötig - so viel Informationstransparenz wie hilfreich - Entscheidungen möglicht im Dialog mit dem Kunden treffen

Was mit Selbstorganisation gemeint ist. Quelle: Projektwerkstatt

In diesem Zusammenhang ist Mareike Weber wichtig zu ergänzen: „Ich finde die Art, wie wir arbeiten, super. Aber sie passt nicht zu jedem und zu jeder Aufgabe. Wir reden hier nicht von einer Universallösung, sondern von einer, die sich in unserem Kontext bewährt“.

Selbstorganisation in der Projektwerkstatt: Strukturen, Prozesse, Arbeitsweise

Was bedeutet „Selbstorganisation“ nun konkret und was macht die Arbeitsweise in der Projektwerkstatt besonders? Darüber ließe sich mittlerweile ein ganzes Buch schreiben. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf einige Schlaglichter.

Hierarchiearme Organisationsstruktur

Die über 100 Personen der Projektwerkstatt bilden Teams als selbstorganisierte „Kreise“. In den Kreisen werden alle alltäglichen Arbeiten der Projektwerkstatt durchgeführt und geregelt.

Folie "Organisationsmodell der Projektwerkstatt" MEHR ALS 100 PERSONEN ARBEITEN IN SELBSTORGANISIERTEN KREISEN Zu sehen ist ein

Organisationsmodell der PW. Quelle: Projektwerkstatt

Basiskreise

Jede:r Mitarbeiter:in der Projektwerkstatt ist genau einem – selbst ausgesuchten – Basiskreis als „Heimathafen“ zugeordnet. Wechsel zwischen Basiskreisen sind nach Absprache mit den Kolleg:innen jederzeit möglich. Zudem hat jede:r die Möglichkeit, nach Mitstreiter:innen zu suchen und mit ihnen einen neuen Basiskreis zu gründen.

Basiskreise bearbeiten Projekte. Jeder Projektauftrag wird in einem Basiskreis verortet und dort von einzelnen Personen oder dem gesamten Basiskreis bearbeitet (ggf. unterstützt durch Kolleg:innen aus anderen Kreisen oder Organisationsbereichen von IT.NRW). Die Basiskreise „ziehen“ sich dabei die Projekte selbst von einem „Marktplatz“ (dazu später mehr).

Die Basiskreise setzen sich in der Regel einen thematischen oder funktionalen Schwerpunkt (Beispiele: ein Basiskreis konzentriert sich auf KI-Projekte, ein anderer macht Softwareentwicklungsprojekte).

Basiskreise arbeiten meist ohne Teamleitung. Aber – Freiheit der Selbstorganisation – sie können die Rolle „Teamleitung“ besetzen, wenn sie wollen.

Themenkreise

Nach den gleichen Prinzipien organisieren sich Themenkreise (TK). Sie erbringen übergreifende Dienstleistungen für die Basiskreise der Projektwerkstatt oder dienen dem Wissenstransfer zwischen Basiskreisen und Projekten, z.B. so:

  • Der TK Organisationsschmiede kümmert sich um die strukturelle und kulturelle Weiterentwicklung der Projektwerkstatt.
  • Der TK Personalgewinnung unterstützt unseren Zentralbereich bei der Gewinnung neuer Mitarbeiter:innen von der Bedarfsermittlung bis zur Einstellung inkl. der Vorbereitung des Onboardings. Diese interne Dienstleistung ist besonders hilfreich für Personen in der PW, die nur selten mit Vorgängen zur Personalgewinnung zu tun haben.
  • Der TK PW-Büro übernimmt organisatorische und administrative Aufgaben (z.B. im Rahmen von Onboarding, Controlling, Veranstaltungen, …).
  • Die TK Inbetriebnahme, Projektmanagement und PMO (Projekt Management Office) bringen Kolleg:innen aus verschiedenen Basiskreisen zusammen, die in Projekten die gleiche Rollen innehaben. Hier geht es um Erfahrungsaustausch und die Weiterentwicklung von genutzten Tools und Methoden.
Foto von der Veranstaltung Themenkreise im Fokus. Zu sehen sind einige Stellwände vor denen sich Menschen unterhalten.

Veranstaltung „Themenkreise im Fokus“. Bild: Projektwerkstatt

Themenkreise existieren so lange, bis diese nicht mehr benötigt werden bzw. keinen Mehrwert mehr für die Projektwerkstatt liefern. Zur Evaluation dient u. a. die jährliche Veranstaltung „Themenkreise im Fokus“, bei der Arbeit und Ergebnisse der Themenkreise vorgestellt und hinterfragt werden können.

Funktionskreis Führungswerkstatt

Der Rahmen einer öffentlichen Verwaltung bedingt weiterhin ein Mindestmaß an formaler Hierarchie. So gibt es in der Projektwerkstatt weiterhin Führungskräfte, die anderen disziplinarisch vorgesetzt sind. Derzeit sind das: Die PW-Leitung und und 18 Referent:innen. Diese sind in dem einzigen Funktionskreis gebündelt, der „Führungswerkstatt“.

Hier geht es um Austausch und Vereinbarungen zur Personalführung. Aber es werden auch Entscheidungen getroffen oder vorbereitet, die nicht in einem Basis- oder Themenkreis verortet werden können. Selten dient die Führungswerkstatt auch als Eskalationsinstanz.

Rollen statt Funktionen

Bild einiger Hüte an einem VerkaufsstandAuch in der Projektwerkstatt existieren formale Rollenbeschreibungen und Tätigkeitsprofile für die tarifliche Eingruppierung. In der täglichen Arbeit übernehmen die Mitglieder der Projektwerkstatt darüber hinaus viele verschiedene Rollen im Rahmen Selbstorganisation, die wiederum mit anderen Rollen interagieren. Rollen sind Verantwortungspakete, die bestimmte Pflichten und Befugnisse mit sich bringen. Rollen können flexibel an die Umstände angepasst und von verschiedenen Personen ausgefüllt werden.

Es gibt definierte Rollen innerhalb von Projekten (Projektleitung, Inbetriebnahmemanager, Projekt Management Office), Basiskreisen (Kreisbotschafter:in und Kreiskümmerer:in) und Meetings (Moderator:in, Protokollant:in).

Ziel, Zweck und Verantwortung dieser Rollen werden von Zeit zu Zeit von den Rolleninhaber:innen geprüft und ggf. auch im Rahmen des tariflich gegebenen Rahmens neu ausgehandelt.

Dezentrale Steuerung

Ein wichtiges Steuerungsprinzip der Projektwerkstatt ist die selbstorganisierte Verteilung von Projekten per „Pull-Prinzip“. Der damit verbundene Prozess wurde Anfang 2022 eingeführt und funktioniert so:

Sämtliche Anfragen an die Projektwerkstatt, auch interne Unterstützungsanfragen, werden vom Projektanfragenkompetenzteam – kurz „PAKT“ – entgegengenommen. Das PAKT klärt die Aufträge und bereitet sie in Form von Tickets auf, die auf einem „Marktplatz-Board“ platziert werden.

Die Basiskreise können neue Anfragen sichten: Wäre diese Anfrage etwas für uns? Dringlichkeit und Wichtigkeit der Anfrage werden mitbedacht, ebenso die eigene Auslastung.

Mit dieser Voreinschätzung im Gepäck nehmen die Basiskreisbotschafter:innen am Marktplatz-Meeting teil, das alle zwei Wochen stattfindet. Das PAKT stellt hier neue Anfragen vor und beantwortet Fragen dazu und greift noch nicht verortete Anfragen erneut auf. Basiskreisbotschafter:innen haben die Möglichkeit, Interesse ihrer Basiskreise anzumelden oder Anfragen direkt zu „ziehen“.

Folie "Dezentrale Steuerung in der Projektwerkstatt" Hier ist das im Text beschriebene Zusammenspiel aus PAKT, Marktplatz und Basiskreisen visualisiert.

Verteilung von Projekten innerhalb der PW. Quelle: Projektwerkstatt

Und das funktioniert erstaunlich gut, wie Maria Schmalenbach berichtet. „Bei uns sind in den letzten 10 Monaten 200 Anfragen eingegangen. 80% davon haben wir angenommen, gut 15% haben sich nach Rückfrage mit dem Kunden aufgelöst, und nur knapp 5% der Anfragen mussten wir ablehnen. Das ist für uns selbst sehr überraschend gewesen. Ohne dass wir eingegriffen haben, hat dieses System von Anfang an funktioniert“.

„Trotzdem bleiben natürlich auch mal Anfragen liegen“, ergänzt Michael Gerwinat. „Hier ist das PAKT ein großer Erfolgsfaktor. Die Menschen, die hier aus unterschiedlichen Teilen der Projektwerkstatt zusammenkommen, fühlen sich persönlich verantwortlich dafür, dass die Anfragen versorgt werden. Sie lösen vieles auf kollegialer Ebene. ‚Fragt doch den mal und horch mal da nach und könnten diese beiden nicht…?‘ Auch hier haben wir einen Vertrauensvorschuss gegeben und darauf gehofft, dass die Leute sich kümmern – und das tun sie auf eine beeindruckende Weise“.

Führung neu denken

Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass Führung in der Projektwerkstatt anders gelebt wird, als sonst in einem hierarchischen System üblich. „Wir versuchen, als Führungskräfte im Arbeitsalltag möglichst wenig die ‚Hierarchie-Karte‘ zu spielen“, fasst Maria Schmalenbach zusammen. Die Grundhaltung ist die der Führung als Dienstleistung: „Unser Job als Führungskräfte: Dafür sorgen, dass andere einen guten Job machen können.“

Oft arbeiten Führungskräfte in anderen Basiskreisen als ihre Mitarbeiter:innen. Wenn es auch in Themenkreisen und Projekten keine Überschneidung gibt, kann es vorkommen, dass man im Arbeitsalltag wenig voneinander mitbekommt. Dann übernehmen Führungskräfte automatisch eher eine coachende Rolle für ihre Mitarbeiter:innen.

Es besteht auch die Möglichkeit, die Führungskraft zu wechseln, wenn man den Eindruck hat, dass dies der persönlichen Entwicklung gut tun würde; immer vorausgesetzt, das ein gegenseitiges Einverständnis im Dialog der beteiligten Personen hergestellt werden kann.

Die Projektwerkstatt verfolgt zudem die Idee der geteilten Führung. Die disziplinarischen Führungsaufgaben übernehmen weiterhin Führungskräfte. Jede Führungskraft kann ihre Rolle hinsichtlich der nicht disziplinarischen Führungsaufgaben je nach Kompetenzen und Entwicklungsperspektiven im Dialog mit ihren Mitarbeiter:innen individuell ausgestalten.

Folie mit verschiedenen Führungsaufgaben. Einige davon sind farblich hervorgehoben, um eine exemplarische Schwerpunktsetzung zu

Führungsaufgaben im Überblick. Quelle: Projektwerkstatt

Andere Führungsaufgaben übernehmen Basis- oder Themenkreise, Meetingformate oder spezielle Rollen unter Beachtung der Anforderungen für disziplinarischen Führungsaufgaben. Hierzu einige Beispiele:

Der Themenkreis Organisationsschmiede kümmert sich um die organisatorische und kulturelle Weiterentwicklung. Mitglieder aus dem Themenkreis Personalgewinnung sind an Auswahlgesprächen und -entscheidungen beteiligt.

Beim Marktplatz-Meeting werden Aufgaben selbstorganisiert auf die Basiskreise verteilt (s.o.). In Strategie-Meetings geht es um die Steuerung und die generelle Schwerpunktsetzung der Projektwerkstatt.

Folie mit Verteilung von Führungsaufgaben. Einige werden der Führungskraft zugeordnet, andere Kreisen, Rollen oder Meetingformaten.

Verteilung von Führungsaufgaben. Quelle: Projektwerkstatt

Innerhalb der Projektwerkstatt gibt es PW-Coaches, die bei Fragen zur persönlichen Weiterentwicklung oder bei Konflikten einbezogen werden können. Mentor:innen unterstützen die Einarbeitung neuer Mitarbeiter:innen. Die Rollen können von Führungskräften oder Mitarbeiter:innen ausgeübt werden.

Meetingformate und Meetingkultur

Neben regelmäßigen Treffen der Kreise und den bereits erwähnten Marktplatz- und Strategie-Meetings gibt es weitere Meetingformate, die Raum geben, Informationen zu transportieren, Regeln neu auszuhandeln oder Beziehungen zu pflegen. Die meisten Besprechungen finden online statt.

Einige Beispiele:

  • Das zweiwöchentliche Weekly ist ein wichtiger Informationsraum. Die PW-Leitung übermittelt Informationen aus der IT.NRW-Hierarchie. Die Basiskreise und Themenkreise teilen Neuigkeiten, Highlights und Herausforderungen aus ihrer Arbeit.
  • Zur monatlichen PW-Aktuell ist die gesamte Projektwerkstatt eingeladen. Hier werden Veränderungen und Neuigkeiten kommuniziert, neue Kolleg:innen vorgestellt, Themen oder Projekte ins Rampenlicht gestellt und hilfreiche Methoden oder Fachwissen geteilt.
  • Im Speed-Meet haben zufällig zusammengewürfelte Mitglieder der PW die Möglichkeit, sich kennenzulernen. „Das läuft im Moment allerdings noch nicht gut und werden wir nochmal neu aufsetzen. Ein gutes Beispiel dafür, dass bei uns auch nicht alles beim ersten Versuch klappt“, ergänzt Michael Gerwinat.
  • Gilden dienen dem Austausch zu einem Thema und stehen auch Mitarbeiter:innen aus anderen Bereichen von IT.NRW offen.
  • Bindestellen-Gespräche dienen dem gezielten Austausch mit anderen Bereichen von IT.NRW.

Zu jedem Meetingformat ist definiert, welche Rollen daran teilnehmen. Die Formate sind aber offen für Interessierte. Das gilt auch für Klausuren der Führungswerkstatt, wie Michael Gerwinat beschreibt: „Mein Vorschlag, auch den Mitarbeiter:innen – also, den Kunden der Führungswerkstatt – zu ermöglichen, daran teilzunehmen stieß zunächst auf Skepsis. Aber irgendwann haben wir uns dazu durchgerungen, das nur für ein einziges Mal auszuprobieren. Und seitdem sind immer Mitarbeiter:innen bei unseren Führungsklausuren dabei. Weil beide Seiten festgestellt haben, dass die zusätzlichen Sichtweisen total wertvoll sind und uns richtig weiterbringen.“

Mareike Weber ergänzt: „Zudem haben wir festgestellt, dass wir uns nicht selbst moderieren können. Daher werden auch die wöchentlichen Treffen der Führungswerkstatt von jemandem aus dem Mitarbeiterkreis moderiert. Diese Rolle ist offen für alle in der Projektwerkstatt, die moderieren können oder es lernen wollen. Auf diese Weise bekommen andere mit, womit wir uns beschäftigen, und wir lösen die Barriere zwischen dem gehobenen und höheren Dienst weiter auf“.

Zu sehen sind mehrere Personen, die sich im Stehen besprechen. In der Mitte eine Person vor einer Stellwand.

Präsenztreffen in den Räumen der Projektwerkstatt. Bild: Projektwerkstatt

Neben der Offenheit haben sich weitere Prinzipien und Hacks einer produktiven Meetingkultur etabliert. Einige Beispiele:

10 Hacks für produktive Besprechungen, die in der Projektwerkstatt eingesetzt werden. 1. Keine Besprechung ohne Moderation 2. Pufferzeiten standardmäßig einplanen 3. Keine Teilnahme ohne Nutzen 4. Neue Settings wagen 5. Check-in und Check-out 6. TOPs kategorisieren 7. Konsequentes Timeboxing 8. Alle Teilnehmenden aktivieren 9. Visualisierungen nutzen 10. Konsent statt Konsens

10 Hacks für produktive Besprechungen. Quelle: Projektwerkstatt

Herausforderungen – und wie die Projektwerkstatt damit umgeht

Nach dem Lesen der vorigen Abschnitte könnte man sich fragen: Läuft das alles wirklich so rosig? Gibt es auch Kritik? Wie geht die Projektwerkstatt mit Misslungenem um?

Maria Schmalenbach: „Der Erfolg gibt uns Recht. Die Projekte laufen. Die Teams finden sich. Die Aufgaben, die an uns herangetragen werden, werden angenommen. Die Projektwerkstatt ist ein sehr attraktiver Arbeitsplatz innerhalb der Landesverwaltung NRW. Aber natürlich gibt es auch Dinge, die nicht gut laufen.“ Wir sprechen über Herausforderungen:

Die Arbeitsweise ist nicht leicht vermittelbar

„Es ist nicht so leicht, mit bzw. für die Projektwerkstatt zu werben, denn unser Organisationskonzept ist erklärungsbedürftig.“, leitet Maria Schmalenbach die Problematik ein. Michael Gerwinat erläutert: „Für den Kunden ist letztlich nicht wichtig, wie wir uns organisieren. Mitunter gibt es auch Vorbehalte gegenüber agilen Arbeitsweisen. Früher haben wir versucht, uns und unsere Art der Arbeit zu erklären. Mittlerweile machen wir’s einfach. Im direkten Erleben sehen die Kunden die Arbeit der Projektwerkstatt dann überwiegend positiv. Sie merken, dass wir flexibel und engagiert sind und gemeinsam richtig gute Ergebnisse erzielen.“

Doch es bleibt z.B. schwierig, Kunden dazu zu gewinnen, nutzerzentrierte Arbeitsweisen zu erproben und (End-)Nutzer:innen digitaler Lösungen unmittelbar einzubeziehen. Hieran möchte die Projektwerkstatt weiterarbeiten – etwa, indem sie schon in der Auftragsklärung Erwartungen mit dem Kunden klärt: „Wenn du mit uns arbeitest, dann brauchen wir … von dir, um gute Ergebnisse für dich erzielen zu können.“

Überlastung

Eine Person, die vor einem Laptop sitzt. Die Person selbst und der Laptop sind vollständig mit gelben Klebezetteln bedeckt.

Quelle: Mindspace Studio / Unsplash

„Eine Organisation, in der die Menschen selbstbestimmt Aufgaben ziehen können, verführt besonders engagierte Leute schnell dazu, sich zu viel zuzumuten. Sie finden hier viele spannende Aufgaben. Erschwerend kommt hinzu, dass die Art von Aufgaben mit Blick auf Umfang und Dauer oft schwer zu kalkulieren ist“, so Mareike Weber.

Sie weist darauf hin, dass man vor diesem Hintergrund die Zahlen des PAKT (nur 5% der Anfrage wurden abgelehnt) auch anders interpretieren könnte: „Wir fühlen uns schnell verantwortlich und sind noch nicht gut genug darin, die wichtigen Dinge von den weniger wichtigen zu trennen. Hier wollen wir die Basiskreise noch besser dabei unterstützen, sich selbst zu steuern und Aufgaben zu priorisieren.“ Im Ausnahmefall greift die disziplinarische Führungskraft im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht ein, jedoch ist das aufgrund der sehr guten gegenseitigen Unterstützung im Rahmen der Selbstorganisation selten notwendig; in der PW hilft man sich einfach gerne gegenseitig.

Weil das Thema bei den letzten Stimmungsumfragen verstärkt benannt wurde, nimmt sich der TK Organisationsschmiede dessen nun an. Mareike Weber: „Wir implementieren gerade Sofortmaßnahmen – z.B. verbreiten wir das Tool Rollenverortung und bieten kleine Workshops dazu an. Zudem leiten wir Veränderungen ein, die erst mittelfristig greifen werden“.

Selbstorganisation ist kein Selbstläufer

Die Projektwerkstatt gibt große Spielräume und ermöglicht es ihren Mitarbeiter:innen, selbständig Entscheidungen zu treffen. „Alle können sich Unterstützung von der Hierarchie holen. Alle können sich Expertise aus der Projektwerkstatt holen. Alle können darauf basierend direkt mit dem Kunden entscheiden und umsetzen, was das Projekt weiterbringt“, so Michael Gerwinat. Doch das stößt nicht immer auf Begeisterung und kann mitunter überfordern. „Die Leute müssen erst mal neu lernen, so zu arbeiten. Denn viele haben es ja über Jahre oder Jahrzehnte anders gelernt. Das sorgt auch für Spannungen und Konflikte.“

Mareike Weber listet auf, was es hier insbesondere von der Führung braucht und was Maria Schmalenbach als PW-Leitung gut gelingt:

  1. Veränderungen einfordern. Zu sagen: ‚Wir probieren das jetzt aus und ich möchte, dass ihr mitmacht‘.
    Dabei aber auch:
  2. Unsicherheiten ernst nehmen. Verständnis zeigen, einladen, die Unsicherheit auszuhalten.
  3. Befähigung. Den Leuten Methoden und Unterstützung für Selbstorganisation an die Hand geben.
  4. Sich nicht einmischen und so den Rahmen für die erforderlichen Freiräume halten.
  5. Geduld. Nicht die Erwartungshaltung haben: „Das klappt innerhalb von wenigen Monaten.“ Sondern: „Nun gut, das braucht eben einige Jahre. Die Menschen müssen mitkommen können.“
Ein Holzzaun, an dem ein altes Holzschild hängt. Darauf ein Pfeil nach rechts und die Beschriftung "This way".

Quelle: Jamie Templeton / Unsplash

Kommunikation stößt an Grenzen

Ein Prinzip der Projektwerkstatt ist, Informationen so zu teilen, dass keine Informationsmonopole entstehen, die sich sonst oft bei Führungskräften bilden. „Wenn die Leute selbstorganisiert arbeiten und eigene Entscheidungen treffen sollen, müssen wir sie mit den dafür erforderlichen Informationen versorgen“, so Maria Schmalenbach. Doch bei mittlerweile fast 110 Mitarbeiter:innen ist das eine Herausforderung. „Zudem lebt unser Konstrukt davon, dass die Leute es verstehen, sich verstanden fühlen und einbezogen werden. Und das wird bei der wachsenden Menge an Menschen immer schwieriger. Allein die Führungswerkstatt an einen Tisch zu holen, ist bei 18 Führungskräften eine Herausforderung. Wichtige Informationen dringen nicht immer durch.“

Zwei Lösungsansätze, die bereits umgesetzt wurden:

  • Für wichtige Informationen, die niemand verpassen sollte, gibt es einen eigenen Chat-Kanal, den jede:r verfolgen sollte. Hier kann übrigens nicht nur die PW-Leitung Beiträge veröffentlichen.
  • Zudem nimmt das PW-eigene Videoteam zweiwöchentlich eine Videobotschaft von Maria auf, in der sie wichtige Informationen aus der Hierarchie und der Projektwerkstatt kurz vor dem Weekly transportiert. So können sich alle aus erster Hand informieren und die Kreisbotschafter:innen haben im Weekly direkt die Möglichkeit, Fragen zu den geteilten Inhalten zu stellen. Diese Botschaften sind schnell zu den meistgeklickten Videos aufgestiegen.
Ein Gewirr aus Wegweisern, die zu unterschiedlichen englischen Städten weisen.

Quelle: Pixabay / Pexels

 

Abschließend fasst Michael Gerwinat die Herausforderungen der Projektwerkstatt und ihren entwicklungsorientierten Ansatz zusammen: „Wir haben die gleichen Probleme und Schwierigkeiten, wie andere Organisationen auch. Was bei uns anders ist: Dass wir Probleme schnell aufgreifen, gemeinsam Lösungsansätze entwickeln und direkt ausprobieren“.

Eine Einladung zum Abschluss

Eine alte blau lackierte Tür, an der ein Schild hängt mit der Beschriftung "Welcome we are open". Daneben ein kleines gerahmtes Schild "Push here".

Quelle: Ketut Subiyanto / Pexels

Die Projektwerkstatt möchte gern Erfahrungen teilen und zeigen, dass selbstorganisiertes Arbeiten unter den Rahmenbedingungen öffentlicher Verwaltungen möglich ist. Und sie lädt andere dazu ein, das einmal selbst zu erleben. „Wenn Menschen in der öffentlichen Verwaltung durch diesen Beitrag neugierig geworden sind, sind sie herzlich eingeladen, unsere Arbeit einmal selbst zu erleben. Zum Beispiel, indem sie bei uns in Düsseldorf vorbeischauen und einen Tag hospitieren“, so Michael Gerwinat.

Doch er warnt vor: „Auch wenn viele erst sagen: ‚Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in unserer Verwaltung, unserem Organisationsbereich so etwas umsetzen können‘: Die Idee, so zu arbeiten ist hochinfektiös. Das lässt einen im Kopf nicht mehr los. Wir haben auch ganz klein angefangen. Und es ging letztlich viel mehr, als wir gedacht haben.“

 

[1] Im Sinne der Transparenz: Ich war von Mai 2023 bis Januar 2024 als Referentin und Projektleitung für Digitalisierungsvorhaben in der Projektwerkstatt beschäftigt. Die kurze Begründung dazu, warum ich nicht mehr Teil der PW bin: Die „Job-Job-Life-Balance“ (denn ich war nebenher weiterhin selbständig) hat für mich nicht so gut funktioniert wie zuvor erhofft. Die ausführlichere Begründung lest ihr bei Interesse hier.

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