Fortschritt, ohne um Erlaubnis zu fragen: Das Verschwörhaus in Ulm

Im Jahre 1397 wurde in Ulm mit dem Großen Schwörbrief ein Streit zwischen Patriziern und Zünften um die Machtverhältnisse im Stadtparlament beigelegt. Das prächtige Schwörhaus erinnert an die Geschichte. Mehr als 700 Jahre später ist das nahe gelegene Verschwörhaus auf der Suche nach einer anderen Geschichte, einer neuen Erzählung. Einer, die dabei unterstützen soll, nicht nur die Stadt Ulm „zappelnd und schreiend ins 21. Jahrhundert zu bringen“. Dieses Zitat stammt von Stefan Kaufmann, dem „Halbleiter“ (haha) des Verschwörhauses, der in einem Interview einige kluge Gedanken mit uns geteilt hat.

In diesem Blog-Beitrag geht es um …

  • das Verschwörhaus, das einen städtischen Ort für „Innovation ohne Erlaubnis“ bietet (und das nicht nur für digitale Themen),
  • Chancen und Schmerzen einer Mittlerrolle zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft,
  • Abwasserkanäle, die niemand mit Schleifchen und Schere einweihen möchte, und
  • Verwirrung, aber auf einem höheren Niveau.

Beitragsbild: Open Knowledge Foundation Deutschland, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

Stefan Kaufmann - Vortrag beim "Verschwörlärm 2018"

Stefan Kaufmann, Bild von Matti Blume, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Das Verschwörhaus

Die Idee für das Verschwörhaus entstand 2015 beim ersten „Jugend hackt“-Event in Ulm. Die damalige Open Data-Gruppe wollten einen Ort schaffen, an dem Menschen ihre Stadt selbstbestimmt mitgestalten können. Sie lieferten entsprechende Konzepte und Impulse, die beim damaligen 1. Bürgermeister Gunter Czisch – jetzt Oberbürgermeister – auf offene Ohren stießen. Mit dem Programm Zukunftsstadt 2030 war ein passendes Gegenstück in den Digitalisierungsprojekten der Stadt gefunden, wo als Projekt „Stadtlabor“ der notwendige Rahmen geschaffen werden sollte. Und so konnte 2016 das Verschwörhaus die Pforten am Weinhof 9 öffnen.

Bild: -stk, CC0, via Wikimedia Commons

Längst wird im Verschwörhaus nicht mehr nur mit technischen Möglichkeiten experimentiert. Hier ein Rundumschlag über die Gruppen und Aktivitäten, die vor den Corona-Einschränkungen das Verschwörhaus belebten:

Im Keller lädt eine große Metall- und Holzwerkstatt zum Werkeln ein.

In der Holzwerkstatt wird gewerkelt

Bild: -stk, CC0, via Wikimedia Commons

  • Im Upcycling-Nähcafé („weil wir durch Zufälle an einen Haufen Nähmaschinen gekommen sind“) wird aus alten Klamotten Neues gemacht.
  • Beim Bewerbungs-Café für Geflüchtete stehen Laptops bereit, um Bewerbungen zu schreiben. Interessierte können in angenehmer Atmosphäre die deutsche Sprache und den Umgang mit Bewerbungssituationen üben – Caritas, Stadt und Bundesagentur für Arbeit unterstützen sie dabei.
  • Beim Maker-Monday wird jede Woche unter Anleitung mit Lasercuttern und 3D-Drucker gewerkelt.

Bild: -stk, CC0, via Wikimedia Commons

  • Bei den LoRaWan-Treffen (mittwochs) geht es um Sensornetzwerke, die kleine Datenmengen mit wenig Energieaufwand über weite Entfernung übertragen. Hier geht es z.B. um Bodenfeuchtesensoren, die Überwachung von Türöffnungskontakten oder selbstgießende Blumenbänke.
  • Im Rahmen der Jugendnachwuchsförderung findet regelmäßig das Wochenendformat Jugend hackt Außerdem das „Jugend hackt“-Lab als regelmäßiges Programm mit offenen Workshops und Themen, um junge Leute für MINT-Themen zu begeistern.
  • Die F.U.C.K.-Gruppe (steht für „Frauen und Computer Kram“) schafft einen Raum, in dem Frauen sich über technische Themen austauschen und gemeinsam lernen können.
  • Verschiedene Aktionen rund um freies Wissen, Wikipedia, Wikidata (so finden z.B. seit 2016 viele der offiziellen deutschsprachigen Wikidata-Treffen hier statt).
Tafeln und Kissen

Bild: Tobias “ToMar” Maier, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

  • Die Gruppe „Capture the flag“ befasst sich mit dem Thema IT-Sicherheit.
  • Per Fairteiler macht das Verschwörhaus auch mit beim Foodsharing: In einem Kühlschrank können Lebensmittel hinterlassen werden, die man selbst nicht mehr braucht.
Verschwörlärm - Gruppenbild vor dem Verschwörhaus

Bild: Matti Blume, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Der verwinkelte Gebäudekomplex, in dem sich das Verschwörhaus befindet (man kommt nur auf bestimmten Stockwerken von einem Gebäude zum anderen), erinnert spontan an das Unperfekthaus in Essen (wo die Initiative Verwaltungsrebellen übrigens auch als Projekt angemeldet ist). „Tatsächlich war das Unperfekthaus eine der Inspirationen bei der Konzeption des Verschwörhauses“, so Stefan Kaufmann: „Hier wie dort ist die Idee, ehrenamtlich

Engagierten Räume bereitzustellen, an denen sie sich treffen, austauschen und Dinge ausprobieren können -und die passende Ausstattung dafür vorfinden.“

Formal besteht das Verschwörhaus aus zwei Teilen. Die Stadt stellt die Hülle des Hauses: Miete, einen großen Teil der Geräte und Materialien, und auch von Anfang an die Stelle von Stefan Kaufmann. Viel Ausstattung kommt zusätzlich aus Spenden, Dauerleihgaben und Überlassungen, beispielsweise Equipment von Wikimedia Deutschland für Veranstaltungen rund um Freies Wissen.

OB Czisch bekommt Kuchen von Stadträtin Helga Malischewski. Im Hintergrund Ulrike Hudelmaier vom Innovationszentrum TFU, die die AktivistInnengruppe in der Planungs-phase beraten und unterstützt hatte.

Bild: OB Czisch bekommt Kuchen von Stadträtin Helga Malischewski. Im Hintergrund Ulrike Hudelmaier vom Innovationszentrum TFU, die die AktivistInnengruppe in der Planungsphase beraten und unterstützt hatte. Matti Blume, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Die Hülle wäre jedoch nichts ohne den Inhalt. Die Ehrenamtlichen sind in einem Verein organisiert, der auch Spenden und Fördermittel annehmen kann. Seit Anfang 2021 ist auch eine 50%-Stelle für das Jugend hackt Lab bei diesem Verein angesiedelt.

Stefan Kaufmann agiert im Verschwörhaus weitestgehend autonom. Dabei versteht er sich nicht als Leiter: „Den Titel verweigere ich. Ich bin der Möglichmacher. Der Puffer zwischen der offiziellen Stadtseite und den Initiativen. Ich halte den Kopf hin, damit andere frei rumspinnen können.“

Was im Verschwörhaus passiert, gestalten die Gruppen, die hier aktiv sind – und zwar so, wie sie es für richtig halten. „Was bei aller Unabhängigkeit eint, ist die intrinsische Motivation aller Aktiven – die Neugier und Experimentierlust und der Spaß daran, Dinge anzuschauen und zu hinterfragen, was sie im Innern ticken lässt“, so Stefan Kaufmann.

Schild "Vorläufig geschlossen"

-stk, CC0, via Wikimedia Commons

Dabei nutzen die Gruppen gegenseitig die Ressourcen, die das Haus bietet, und „das Gewusel im ganzen Haus führt zu Begegnungen ganz unterschiedlicher Gruppen auf den Fluren“. Vieles davon ist in Corona-Zeiten nicht möglich, und man merkt Stefan Kaufmann sehr an, wie sehr er dieses Gewusel vermisst. Auch wenn einzelne Angebote im digitalen Raum fortgeführt werden: Die Krise hat schmerzlich klargemacht, wie wichtig ein physischer Ort für den Zusammenhalt und das Engagement der Gruppen ist.

Von Anfang an hat das Verschwörhaus sich dagegen gewehrt, ein Startup-Inkubator zu sein oder ein reines Innovationslabor der Verwaltung, auch wenn andere das gern gesehen hätten. Denn: „Wir wollen Kontingenz fördern, das heißt: einen Raum schaffen, wo Dinge passieren können, aber nicht müssen.

Vogel brütet im Wassersckhlauch-Kasten

Kein Inkubator. Aber dennoch Brutstätte 😊 Bild: NadjaWenger, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Eine Stadt braucht Luft, um Ideenspinnen zu ermöglichen“. Und das funktioniert nicht gut, wenn man unter Druck steht, sich wirtschaftlich zu rentieren, oder die Akteure im Tagesgeschäft keine Zeit haben für Innovation.

Wand mit zahlreichen Flipcharts und Karten

Bild: Tobias “ToMar” Maier, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

„Wir suchen keine schnellen Gewinne, sondern pflanzen hier Grundlagen, von denen die Stadt in 10 Jahren profitieren kann“, so Stefan Kaufmann. Weil digitale Kompetenzen wachsen, weil eine „Völkerverständigung“ von Verwaltung und Zivilgesellschaft passiert (auch wenn diese nicht immer einfach ist), weil dadurch Stadtgestaltung auch durch Gruppen stattfindet, die in den üblichen Prozessen wenig angehört oder beachtet werden.

Dazu passt auch, dass der Name „Verschwörhaus“ zunächst ein interner Arbeitstitel als Gegenpol zum generischen Namen der offiziellen Hülle „Stadtlabor“ war, und sich letztlich durchsetzte (der Oberbürgermeister soll so etwas gesagt haben wie „Wenn die, die da drin sind, es so nennen, dann heißt es eben so“).

Verschwörlärm 2018 - Vortrag vor einer Gruppe

Matti Blume, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Zwischen den Welten „Stadtmachen“ und „Verwaltung“

Stefan Kaufmann beim Wikipedia-Stammtisch

Bild: Stefan Kaufmann beim Wikipedia-Stammtisch, Burkhard Mücke, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Die Doppelrolle, die Stefan Kaufmann innehat, ist nicht ohne: „Einerseits bin ich Angestellter der Stadt und meiner Dienstherrin verpflichtet. Andererseits besteht die Rolle eines wohlwollenden, aber kritischen Digitalen Ehrenamts auch darin, immer wieder mal den Finger in die Wunde zu legen und zu zeigen, wo die Stadt Sachen besser machen könnte“. Hier stößt er auf das Dilemma: Je mehr man weiß, desto schwerer wird es, zu sprechen. Man möchte nicht illoyal sein – schon gar nicht konkreten Kolleg:innen gegenüber. Aber manche Dinge müssen auch mal auf den Tisch kommen – nur dann kann man auch hingucken und lernen.

Zudem gibt es verständlicherweise auch eine gewisse Erwartungshaltung von Seiten der Initiativen, die der Stadt konkrete Vorschläge machen (etwa in puncto offener Daten und freier Software): „Du bist doch Angestellter der Stadt – dann mach doch auch was!“ Hier bietet die Doppelrolle aber auch Vorteile, wenn es darum geht, Zusammenhänge besser zu verstehen und erklären zu können.

Zusammenarbeit mit der Verwaltung

Geht ein Schulter-an-Schulter vielleicht einfacher als ein Gegenüberstehen? Das Verschwörhaus ist keine „Auftragsbude“, aber es kommt immer wieder vor, dass Ehrenamtliche ihre Unterstützung anbieten – bei Themen, die sie für spannend halten und in denen sie einen Sinn sehen. So gaben Aktive aus dem Verschwörhaus  etwa Beteiligungsformaten durch Veranstaltungstechnik einen schöneren Rahmen oder lieferten Input bei Themen wie der lokalen Agenda 21 oder der Digitalisierungsstrategie.

Als die Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Unterstützung für ein Streaming-Angebot suchte, machte das Verschwörhaus klar: „Wir nutzen dafür eine Ausstattung, die in Teilen von Wikimedia Deutschland kommt und daher ist die Voraussetzung, dass das, was gesendet wird, genauso wieder unter einer freien Lizenz auf Wikimedia Commons veröffentlich wird“. Da dies bei der Verwaltung nicht auf Ablehnung, sondern auf Neugierde stieß, organisierte das Verschwörhaus dazu einen Workshop zu freien Lizenzen. Es stellte sich heraus, dass aus Sicht der Öffentlichkeitsarbeit nichts dagegenspricht, auch weitere Medien unter einer freien Lizenz zu veröffentlichen. Das Verschwörhaus setzt bei der Unterstützung auf Hilfe zur Selbsthilfe: „Das Video-Team des Verschwörhaus möchte die Öffentlichkeitsarbeit der Stadt nun auch befähigen, solche Streams künftig auch ganz alleine durchführen zu können“, so Stefan Kaufmann.

Olgastraße. Wagen 10 auf Linie 1 oder 4 (Ringlinie), Richtung Stuttgarter Tor.

Bild: Gebrüder Metz, CC0, via Wikimedia Commons

Ein anderes Beispiel: Die Stadtverwaltung war auf der Suche nach historischen Bildern. Auch hier unterstützte das Verschwörhaus: „Wir hatten aufgerufen, dass die Bevölkerung eigene Bestände mitbringt. Vor Ort hatten wir einen sehr guten Diascanner von Wikimedia Deutschland, und wir haben die Menschen begleitet, die Bilder zu digitalisieren und unter einer Freien Lizenz ihrer Wahl für Wikimedia Commons freizugeben“. Über die Presse konnte man dabei auf das Thema „freie Lizenzen“ aufmerksam machen: „Diese Bilder sind jetzt Wissen der gesamten Menschheit“. Eine gute Gelegenheit, um gleich auf weitere Potentiale hinzuweisen: „Zum Beispiel könnte die Stadt Digitalisate bereits gemeinfreier alter Bilder (AutorIn mehr als 70 Jahre tot) unter CC-0 veröffentlichen. Oder eine Auswahl aktueller Bilder der Presse- und Archivabteilung“.

Eine solche Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Verschwörhaus funktioniert gut: Die Stadt erfährt durch die Unterstützung einen praktischen Nutzen. Und das Verschwörhaus nutzt die Gelegenheit, um in die Verwaltung und die Stadtgesellschaft hinein aufzuklären, zu befähigen und Möglichkeiten aufzuzeigen.

Bild: Open Knowledge Foundation Deutschland, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

An dieser Stelle eine kleine Notiz am Rande: Wir lieben Bilder! Wer unseren Blog kennt, weiß, dass wir uns gern ein paar Zeilen mehr gönnen. Daher brauchen wir unbedingt Bilder, um die Blog-Beiträge verdaulich zu halten. In diesem Fall konnten wir aus dem Vollen schöpfen, weil das Verschwörhaus einen riesigen Fundus von Bildern unter einer freien Lizenz auf Wikimedia zur Verfügung stellt. Zu der Frage, wie Verwaltungen auf diese Weise Medien bereitstellen können, hat das Verschwörhaus die Stadt Ulm kürzlich beraten.

Dennoch ist der Schwerpunkt des Verschwörhauses nicht, in die Verwaltung hineinzuwirken: „Das kann man machen, aber das birgt auch das Risiko, Leute zu frustrieren, wenn sie sehen, was möglich wäre, aber viel zu ungeduldig für die jahrelangen Umsetzungshorizonte in einer Verwaltung sind“. Aus Sicht von Stefan Kaufmann ist es weniger hilfreich, dort zu graben, wo’s in der Verwaltung nicht funktioniert. „Sinnvoller finde ich, Politiker:innen zu befähigen, Beispiele zu zeigen und anfassbar zu machen. Etwa am Beispiel Wikidata: Was wird möglich, wenn ich Daten nicht wie Kraut und Rüben organisiere?“

Neue Narrative gesucht

An dieser Stelle kommen wir zu einem Thema, das Stefan Kaufmann zunehmend umtreibt: „Aus meiner Sicht gibt es eine riesige Diskrepanz zwischen dem, was sich auf den Digitalisierungsbühnen in Deutschland abspielt, und dem, was ich in der Realität feststelle. Da ist in der einen Welt die Rede von Mindset, KI, Blockchain und Datenethikkonzepten. Und in der anderen Welt stelle ich fest, dass es der Verwaltung an den ganz grundlegenden Dingen fehlt. Diese Dinge sind eigentlich kein Hexenwerk – man muss sie nur eben machen. Und dafür fehlt es an Ressourcen, Kompetenzen und Strukturen.“

Das Problem mit den Leuchttürmen …

Ein LeuchtturmAuf der Website der Stadt Ulm wird das Verschwörhaus beschrieben als „deutschlandweites Leuchtturmprojekt für netzkulturelle Programme und Diskurse“. Dabei will es gerade das nicht sein – ein Leuchtturmprojekt. Denn genau die Leuchttürme sieht Stefan Kaufmann als Teil des Problems an:

„Es gibt viele Sonderlocken, die aufgegriffen werden, weil sie häufig mit Fördermitteln einhergehen. Und weil man sie politisch viel besser verkaufen kann. Irgendwann läuft das Förderprojekt aus – und wer kümmert sich dann um den laufenden Betrieb und die Wartung der Leuchttürme? Dazu fehlt es der Verwaltung dann an Ressourcen, Kompetenzen und Strukturen. Das führt letztlich dazu, dass solche IT-Projekte einen Flurschaden erzeugen, der letztlich noch mehr technische Schulden aufbaut.“

Leuchttürme haben somit zwei wesentliche Haken:

  • Sie entziehen den eigentlichen Problemen Aufmerksamkeit und Ressourcen.
  • Sie sind selten nachhaltig und machen stattdessen aufwändige Nach- und Korrekturarbeiten nötig.

… und was es stattdessen braucht

„Es braucht grundlegende Infrastruktur“, davon ist Stefan Kaufmann überzeugt, „einen tragfähigen Unterbau, auf dem man Digitalisierung betreiben kann. „Dabei gehe ich wirklich von den absoluten Basics aus. Gut funktionierende Netze, moderne Rechner, Mobile Device Management. Werkzeuge für Wissensmanagement. Virtuelle Maschinen, auf denen man mal Serverdienste oder einen Docker-Container hochziehen kann.“ Und dazu: „Genügend viele Menschen, die das können“. Denn das alles braucht auch eine radikal bessere Personalausstattung – sowohl quantitativ als auch mit Blick auf Kompetenzen.

„Und das alles ist genau der Teil, der schmerzhaft ist – weil er richtig Geld kostet, aber wenig außenwirksam ist“, benennt Stefan Kaufmann eine zentrale Hürde. Und weil es hier einen riesigen Investitionsstau gebe, den eine Verwaltung selbst nicht auflösen kann: „Hier braucht es politische Entscheidungen.“ Die daraus resultierende Frage, zu der das Verschwörhaus einen Beitrag leisten möchte: „Wie können wir politisch erwirken, dass Dinge, die unangenehm sind und Geld kosten, die aber gemacht werden müssen, dass die mindestens so naheliegend werden wie diese ganzen Scheinlösungen? Dass auch jenseits von Legislaturperioden ein politischer Druck entsteht, weil jeder Cent, den wir heute einsparen, uns in zehn Jahren das Zehnfache kostet?“

“Einen Abwasserkanal wird keiner mit Schleifchen und Schere einweihen”

Hausfassade mit Kunstwerk aus verschieden geformten Rohren

Abwassersystem à la „Mindset, KI und Blockchain“. Öffentlichkeitswirksam, aber am Problem vorbei.

Hier kommen die „neuen Erzählungen“ ins Spiel, von denen Stefan Kaufmann immer wieder spricht. Dazu nutzt er gern Bilder und Analogien zur Stadtentwicklung: „Niemand würde ein Stadtplanungsamt so besolden wie die IT einer Stadt. Während beide eigentlich eine langfristige Architektur für eine Infrastruktur entwickeln sollen, die über Jahre halten muss. Eine Infrastruktur, auf der dann wiederum anderes aufbauen und überhaupt erst möglich werden kann. Niemand käme auf die Idee zu sagen: Wir entwickeln jetzt dieses Quartier und holen uns erstmal jemanden von der Unternehmensberatung XY rein, die sollen uns eine Vergabe machen, damit ein Dienstleister dann dieses Quartier entwickelt. Nein, in der Stadtplanung hat man selbst eine Vorstellung davon, und wegen dieser Verantwortung sind die Leute auch adäquat besoldet. Und bei der IT gibt’s das bislang kaum.“

Verrostetes Rohrende, das aus einer Mauer herausragt

Die tatsächliche IT-Infrastruktur…

Und natürlich wird bei der Bebauung einer neuen Fläche auch grundlegende Infrastruktur wie ein Abwassersystem eingeplant – und mitgedacht, wer dies laufend instand hält. Auch wenn dies für die Öffentlichkeit selbstverständlich ist. „Einen Abwasserkanal wird keiner mit Schleifchen und Schere einweihen“, so Stefan Kaufmann. „Aber jeder weiß, was passiert, wenn es keine Leitungen gibt, wenn sie verstopft sind oder brechen. Gleiches gilt für Gehwege, Brücken, … Daher gibt es auch keine Diskussion, an dieser Stelle Geld zu sparen.“

Anders als bei der Stadtentwicklung können wir bei der IT nicht auf mehrere Jahrhunderte Erfahrungswissen zurückgreifen. Aber es geht auch hier um essentielle Infrastruktur – um Bestandteile des Rückgrats und Nervensystems einer zukunftsfähigen Stadt.

Verwirrung auf einem höheren Niveau

Bild: Open Knowledge Foundation Deutschland, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

Auch wenn er den Eindruck hat, die Probleme nach fünf Jahren Verschwörhaus-Arbeit besser zu verstehen, eine Lösung hat Stefan Kaufmann für all das noch nicht parat. „Ich bin da selbst auch ratlos. Ich bin jetzt nicht weniger verwirrt als vorher. Aber auf einem viel höheren Niveau“, schildert er seinen Zustand augenzwinkernd.

Was ihm Hoffnung gibt, ist ein Bild, das in der Psychotherapie genutzt wird: „Wenn wir das Gefühl haben, uns im Kreis zu drehen, dann befinden wir uns tatsächlich häufig auf einer Wendeltreppe, die uns Windung für Windung voranbringt“.

Und genau das könne das Verschwörhaus zukünftig auch sein: Ein Ort, um gemeinsam die nächste Windung zu erkunden. Um Bilder und Geschichten weiterzustricken und sie in die Öffentlichkeit zu tragen. In der Hoffnung, dass sich diese irgendwann in politischen Forderungen übersetzen.

Auch uns lässt das Gespräch mit Stefan Kaufmann auf eine gute Weise grübelnd zurück. „Nicht weniger verwirrt als vorher. Aber auf einem viel höheren Niveau“ – das trifft es eigentlich recht gut. Wir hoffen, dass wir Sie und euch ein wenig mitnehmen konnten auf der Wendeltreppe. Wer daran anknüpfend laut grübeln, eine Frage wälzen oder Ideen hinterlassen möchte, möge dies gern in den Kommentaren tun! 😊

2 Kommentare

  1. Dreifachmutter sagt:

    Wirklich tolle Initiative! Wenn ich mehr Zeit hätte, wäre ich gerne einmal vor Ort dabei 🙂

  2. Susanne Rengel sagt:

    Vielen Dank für diesen Blogartikel liebe Verwaltungs-Rebellen! Als neue Mitarbeiterin in der Digitalen Transformation in einem Hamburger Bezirk komme ich auf neue Ideen und nehme die Verwirrung auf höherem Niveau, als auch die nachhaltige Investition in eine gute Infrastruktur und das eigene entwickeln mit.

    Herzliche Grüße,

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