Warum? Und vor allem: Wozu das Ganze?!

Agile Teams sind tatkräftig. Und oft auch sehr schnell – Ideen produzieren, Wege entwickeln, umsetzen, erproben, verändern, weitermachen. Manchmal vielleicht zu schnell. Das Problem: „Wer rudert, sieht den Grund nicht.“ (Wilhelm Busch) Und verliert manchmal den Überblick, ob man noch den eigentlich angepeilten Kurs hält. Eine kluge Abfolge aus „Machen“ und „Innehalten/Reflektieren“ gehört deshalb eigentlich zum festen Programm agilen Arbeitens. Aktive, kreativ sprühende Teams müssen sich jedoch manchmal regelrecht zum Innehalten zwingen. Systematische Fragen haben sich deshalb als probates Mittel erwiesen, in die ,reflexive Schleife‘ einzutauchen und das Nachdenken zu leiten.

Die erste Frage, die vielen dazu in den Sinn kommt, ist „Warum?“ Eine wichtige Frage, ohne Zweifel, zwingt sie uns doch, nach den Wurzeln unseres Handelns zu suchen und diese als Hilfe zum Überprüfen, zur Ausrichtung unseres Tuns heranzuziehen. Manchmal schwingt bei der Frage „Warum?“ durchaus schon der Blick in die Zukunft mit. Gut so, wenn beide Blickwinkel im Sinn sind. Ich plädiere hier allerdings für sprachliche Schärfung und eine noch genauere Unterscheidung der beiden Frage-Richtungen und stelle der Frage „Warum?“ die zweite Frage „Wozu?“ als explizite und aus meiner Sicht unabdingbare Ergänzung an die Seite. Warum und wozu diese Unterscheidung?

Die Frage „Warum?“ lenkt unseren Blick in die Vergangenheit: Was hat unsere Aktivität ausgelöst? Was hat uns energetisiert, den „case for action“ geliefert, es drängend gemacht, dass wir die Sache anpacken, uns um etwas kümmern, etwas verändern? Oft fördert dieses „Warum?“ einen Missstand zutage, eine Ungerechtigkeit oder etwas völlig Unpraktisches: „So geht das nicht weiter!“ „So können wir das nicht mehr machen!“ „Das ist nicht zumutbar – viel zu umständlich …!“ Sich dieses Motors bewusst zu sein und zu bleiben, hilft, die später neu entwickelten und zu erprobenden alternativen Wege gegenüberzustellen: Beheben diese das mit Hilfe des „Warum?“ beschriebene Grundübel?

Dabei bleibt das „Warum?“ aber nur präzise im „Weg von …“ – es liefert noch nicht genügend Präzision zum „Wohin“. Genau hier kommt das „Wozu?“ hilfreich hinzu.

Die Frage „Wozu?“ lenkt den Blick in die Zukunft und zwingt uns, genauer zu beschreiben, was wir mit dem Neuen, dem alternativen Modell, dem veränderten Vorgehen erreichen wollen: „Welche Wirkungen genau soll unser neues Vorgehen mit sich bringen?“ „Worin genau liegt die Verbesserung, die Ersparnis?“ „Wie soll es aussehen, wenn es fertig ist und alle sagen: ,So ist es gut.‘ ?“ Die Frage „Wozu (genau)?“ fordert uns also, Wirkungen zu beschreiben, und liefert uns damit meist auch schon die Kriterien, die wir später sehr gut zur Überprüfung der Zielerreichung heranziehen können. Klar, das „Wozu?“ kann sich im Laufe der Zeit verändern – weil der Blick sich erweitert hat, neue Erkenntnisse gewonnen werden oder weil Kundenrückmeldungen neue Prioritäten setzen. Dieses Nachkalibrieren ist deshalb kein Problem, sondern normal: Es stellt immer wieder neu Klarheit in der gemeinsamen Ausrichtung her.

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Ein Beispiel zeigt, wie durch das Explizieren beider Fragen Reflexion und Austausch in einer Organisation klarer und entscheidend nützlicher wurden.

Frau N., Leitungskraft eines Jugendhilfeträgers, der unterschiedlichste Jugendhilfemaßnahmen anbietet, fühlte sich durch ihren groß gewordenen Verantwortungsbereich zunehmend überlastet und suchte Unterstützung im Coaching: „Ich schaff das nicht mehr allein. Ich brauche eine Stellvertreterin. Bitte helfen Sie mir, wie ich das beim Träger durchbringe.“ Auf die erste Frage nach dem „Warum?“ sprudelte es nur so aus Frau N. heraus: „Ich muss allen permanent hinterherhängen, dass sie ihre Listen ordentlich führen, damit wir abrechnen können. Dass die Dienstwagen ordentlich gebucht, richtig geparkt und aufgetankt sind. Dass notwendige Infos weitergegeben werden. Dass Krankheitsvertretungen auch mal untereinander geregelt werden und nicht ich immer wieder als Springerin rein muss. Weil sich wegen der vielen Teilzeitkräfte gar nicht mehr alle kennen und es immer unpersönlicher wird, das sagen gerade die neuen Kolleg*innen. Und vor allem: Weil ich nicht mehr regelmäßig ganze Samstage im Büro verbringen will, um endlich meine eigenen Aufgaben zu erledigen.“

Die zweite Frage nach dem Wozu? – Wozu genau soll die Stellvertreterin da sein? Was sollte sie genau bewirken? – machte Frau N. dann allerdings nachdenklich, denn sie brachte selbst schnell die Ziel-Mittel-Diskrepanz auf den Punkt: Ihre ursprüngliche Lösungsidee war nicht unbedingt geeignet, um ihr Ziel zu erreichen. Sie wollte bewirken, dass alle Kolleg*innen ihre eigene Verantwortung wahrnehmen, alle neben der sozialpädagogischen auch die ökonomische Seite sehen und deshalb präzise auch in den „lästigen Formalitäten“ werden, sich nicht nur für ihre eigenen Fachleistungsstunden, sondern auch für das „Laufen“ des gesamten Betriebs verantwortlich fühlen. Aber: Wenn sie selbst das bisher durch Mahnen, Antreiben, Appellieren nicht geschafft hatte – wieso sollte dann eine zweite Person, die dasselbe tut wie sie, erfolgreicher sein? Vermutlich würde die in derselben Überlastung enden…

Die Frage „Wozu?“ löste noch etwas aus: Frau N. stellte selbstkritisch fest, dass sie diese Absichten, Ziele und Zusammenhänge noch nie so grundsätzlich mit ihrem Team besprochen hatte, sondern fast nur situativ bestimmte Verhaltensweisen kritisiert bzw. eingefordert hatte.

Mit diesen beiden Blickrichtungen – Wovon will ich auf jeden Fall weg? Wo will ich hin? – initiierte Frau N. einen Workshop mit dem gesamten Team, in dem aus dem „will ich“ ein „wollen wir“ entstand und noch weiter präzisiert werden konnte. Der weitere Weg veränderte dann auch das Mittel zum Ziel und führte nicht über eine Stellvertretung, sondern über die Bildung kleiner Quartiersteams, in denen mit mehr persönlichem Kontakt gegenseitige Verbindlichkeit verabredet und Verantwortungsübernahme etabliert wurde. (Der Wahrheit die Ehre: Ein keineswegs glatter und ziemlich langer Weg – aber die Kürze eines Blogbeitrags verlangt, die Schilderung hier drastisch zu komprimieren).

Beide Fragen zusammen vervollständigen also unsere Handlungsbasis:

  • Warum? – der Blick zurück (Wo kommen wir her, wovon wollen wir weg?) und
  • Wozu? – der Blick nach vorn (Wo wollen wir hin, was wollen wir genau bewirken?)

ergänzen sich und ergeben einen tragfähigen roten Faden, lassen uns unser Handeln neu ausrichten, wann immer wir die Ruder einziehen und für einen Moment innehalten. „Warum?“ gibt unserem Handeln Power und Schubkraft, „Wozu?“ gibt ihm genauere Ausrichtung und Peilung. Und nach der Vergewisserung in beide Richtungen kann’s dann wieder zügig und mit agiler Tatkraft weitergehen.

Der Artikel ist eine gekürzte Fassung eines Blogbeitrags, den Dorothea Herrmann für den Blog des Forums Agile Verwaltung geschrieben hat (veröffentlicht am 08.11.2018).

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