Sie hat es in Würzburg getan und sie tut es aktuell in Essen: Anja Flicker begleitet als Direktorin der Stadtbibliothek ihr Team dabei, das Angebot der Bibliothek nutzer:innen-orientiert weiterzuentwickeln. „Wir wollen ein Ort sein, der richtig gut ist für die Menschen in unserer Stadt. Und das geht nur, wenn wir diese Orte gemeinsam mit ihnen weiterentwickeln.“ Keine Sache von ein paar Tagen, klar, eher eine längere Reise. Als Reiseführer dient „Design Thinking“ – eine Methode, den Blickwinkel der Bürger:innen, der Kund:innen, der Zielgruppen in die eigene Arbeit einzubringen.
Und deshalb ist dieser Beitrag mehr als ein Bericht über Bibliotheksentwicklung – er liefert vielmehr reiche Erfahrungen von einer Expedition, einem Weg der nutzerzentrierten Veränderung in Verwaltungen, wie er auch in anderen Fachbereichen stattfinden könnte.
Das Beispiel der Bibliothek zeigt anschaulich:
… wie Design Thinking in der Verwaltung praktisch funktionieren kann,
… welche Erfahrungen Mitarbeiter:innen gemacht haben, die „ihre Komfortzone hinter der Informationstheke“ verlassen,
… was es braucht, um einen solchen Prozess im laufenden Betrieb zu stemmen, und
… wie nachhaltig Design Thinking die Haltung, Kundenbeziehungen und Dienstleistungen verändern kann.
Die „Expeditionsleitung“ und ihr Verständnis von Dienstleistung
2010 wurde Anja Flicker Leiterin der Stadtbibliothek Würzburg. In diese Jahre fiel ein hoch attraktiver Auftrag: Für den komplett neu entstehenden Stadtteil Hubland eine ebenso neue Stadtteilbibliothek zu entwickeln und zu gestalten.
Rückenstärkung erhielt sie als Mitglied des internationalen Netzes „International Network of Emerging Library Innovators (INELI)“ der Bill & Melinda Gates Foundation: 25 Bibliotheksleitungen aus 25 Ländern, miteinander verbunden durch ein neues Bibliotheksverständnis: Statt „Wir bieten Medien und Veranstaltungen an und schauen auf möglichst hohe Ausleih- und Teilnehmendenzahlen und unseren Platz im Bibliotheksranking.“ nun „Wir sind für die Stadtgesellschaft da. Wir bieten Orte als Treffpunkte. Wir helfen den Menschen dabei, sich weiterzuentwickeln und Kompetenzen aufzubauen. Wir liefern das, was sie dafür brauchen und was sie nicht leicht woanders bekommen können.“
Herauszufinden, was das denn genau ist, was „gebraucht wird“, erfordert allerdings neue Methoden, wie sie etwa das Design Thinking liefert.
Was hieß das für Würzburg? „Ich habe keine Vorgabe gemacht: „Wir sollten jetzt was anderes anbieten, nämlich …“, berichtet Anja Flicker. „Es klopfte allerdings auch niemand bei uns an und sagte: ‚Ich will mitreden. Hier ist mein Bedarf.‘ Wenn wir also die neue Stadtteilbibliothek als „3. Ort“[1] entwickeln wollten, dann mussten wir von uns aus mehr mit den Leuten reden, um herauszufinden, was wirklich ihr Bedarf und ihre Bedürfnisse sind.“
„Erkunden“ und „Verstehen“ ist der Start im Design Thinking Prozess.
Mit den Nutzer:innen reden, Angebote weiterentwickeln
„Miteinander ins Gespräch kommen und im Dialog bleiben“ – das passiert ganz praktisch im Rahmen von Interviews mit Einzelpersonen, in Bürger:innen-Workshops, in denen auch die Nutzer:innen untereinander in Austausch kommen, wenn Nutzer:inen um Feedback zu Prototypen erster Lösungsideen gebeten werden oder auch indirekt durch Beobachtungen.
Hierzu kristallisierten sich im Gespräch mit Anja Flicker verschiedene Handlungsleitlinien heraus.
Ins Gespräch gehen
Die Erfahrung: Das „mit den Leuten reden“ ist leichter gesagt als getan, selbst für Bibliotheksmitarbeitende, die gewohnt sind, „von hinter der Theke“ mit den Nutzer:innen zu sprechen. Jetzt ging es aber darum, „vor der Theke“ und an anderen Orten ins Gespräch zu kommen – im Café, in Schulen, auf der Straße. Und nicht nur mit Bibliotheks-Stammkund:innen, sondern auch mit Menschen, denen die Bibliothek vielleicht ganz fremd ist. In den Gesprächen geht es nicht darum, konkrete Fragen zu klären („Wo finde ich dieses Buch?“ oder „Ich möchte meinen Ausweis verlängern“), sondern darum, Bedarfe und Bedürfnisse zu verstehen. „Das ist ungewohnt und kostet echte Überwindung“, ist Anja Flickers Erfahrung.
„Was hat geholfen, um diese Schwelle zu überwinden?“ wollen wir wissen. „Mit Freiwilligen zu starten,“ ist Anja Flickers eindeutige Empfehlung. „Wenn die ersten Koleg:innen dann mit den meist sehr positiven Erfahrungen aus den Interviews zurückkommen, springt der Funke über.“
„Raus aus der eigenen Komfortzone“ – das brachte den Bibliotheksmitarbeiter:innen einen ganz neuen Blick auf ihre Arbeit und „wertvolle Gespräche wie nie zuvor“: viele bestärkende Rückmeldungen, aber auch zahlreiche Überraschungen, wenn die Fremdwahrnehmung der Nutzer:innen auch mal deutlich von der Selbstwahrnehmung der Mitarbeitenden abwich.
So manche Gesprächspartnerin sei nachhaltig in Erinnerung geblieben und immer mal wieder in einem fiktiven Gespräch reaktiviert worden: „Wenn wir unser Angebot jetzt so und so verändern, was würde wohl Frau Meyer dazu sagen?“
Anders fragen – im Dialog bleiben
Was Design Thinking nicht bedeutet: Nach Vorschlägen fragen und die dann entsprechend den Mehrheits-Voten umsetzen. Das führt zwar dazu, dass viele ihren Wunsch „rote Sessel“ erfüllt sehen. Ob damit jedoch ein Ort geschaffen wurde, an dem sich viele wohlfühlen, ist damit noch längst nicht gesagt.
Also gilt es, eher zu fragen: Was tust du gern? An welchen Orten fühlst du dich wohl? Und aus den Antworten herauszufiltern, worauf es ankommt. Und dann zu überlegen, wie man das herstellen kann.
Die Gespräche sind keine einmalige Sache: Mit den Erfahrungen aus den Interviews wurden Prototypen entwickelt, zu denen man dann Feedback der Nutzer:innen einholte: „Was denkt ihr dazu? Passt das so, dass ihr euch damit wohlfühlt? Oder was müsste noch anders werden?“
Ergebnisse kommunizieren
Was nach Erfahrung von Anja Flicker damit allerdings nicht so leicht fällt: den Entwicklungsprozess zu kommunizieren, „zu vermitteln, was wir aus den Gesprächsergebnissen machen.“ Denn dieses Denken über Bedarf und Bedürfnisse ist notgedrungen etwas abstrakter als „Die Befragten wollten überwiegend rote Sessel, also haben wir rote Sessel gekauft“. Im Design Thinking sind Kommunikation und Partizipation als fortlaufender Prozess zu verstehen. Nach den Interviews könnte man zunächst kommunizieren, welche Bedürfnisse ermittelt wurden, z. B. so:
Später kann man dann auf die so auf den Punkt gebrachten Bedürfnisse zurückgreifen, um Sinn und Nutzen von Lösungen zu vermitteln („Wir haben diese Spielecke eingerichtet, weil Familien sich … wünschen. Dabei haben wir durch die Gestaltung von … auch auf die Bedürfnisse von … Rücksicht genommen, die sich einen ruhigen Ort zum Lesen wünschen.“)
Kollektive Beteiligungsprozesse organisieren
„Wie haben Sie denn die Beteiligung der Nutzer:innen oder auch der „Noch-Nicht-Nutzer:innen“ ganz konkret möglich gemacht?“ wollen wir wissen. Anja Flicker zeigt das anhand der aktuellen Aktivitäten in Essen auf: „Bezogen auf die neue Stadtteilbibliothek in Essen-Huttrop haben wir 2 Formate genutzt, um herauszufinden: ‚Was ist ein Ort, an dem ich mich gern aufhalte?“
- „Gestartet sind wir mit Workshops in der Bibliothek – die mussten wegen der damaligen Corona-Bedingungen zwar auf Kleingruppen begrenzt bleiben, davon gab es aber viele: Wir konnten ca. 35 Termine mit je 4 Teilnehmenden durchführen.
- Ergänzend sind Mitarbeiter:innen rausgegangen – auf die Straße, auf Supermarkt-Parkplätze, haben dort Leuten die Umfrage auf ihrem iPad gezeigt und ihnen den QR-Code zur Online-Befragung mitgegeben.“
Der Beteiligungsprozess zur Entwicklung des gesamtstädtischen Bibliotheksnetzes ist noch breiter angelegt: Es gab bisher 9 Bürger:innen-Workshops: 8 in Stadtteilen, 1 für die Zentralbibliothek.
Ziel war jeweils eine „SWOT“-Analyse: Stärken, Schwächen, Chancen, Risiken aus Sicht der Nutzer:innen sollten erkundet werden. Daneben sollte auch der Weg transparent gemacht werden, wie die Weiterentwicklung der städtischen Bibliotheken vorangetrieben wird.
Impulse aus Beobachtungen nutzen
Neben den Gesprächen liefern auch Beobachtungen eine wertvolle Inspirationsquelle für neue oder bessere Angebote. „Wir haben zum Beispiel erlebt, dass die Sessel, die wir an einer bestimmten Stelle zu einer aus unserer Sicht gemütlichen Sitzgruppe zusammengestellt hatten, regelmäßig am Ende der Öffnungszeit ganz woanders standen. Die alte Gewohnheit wäre, sich über die Nutzer:innen zu ärgern und flott wieder aufzuräumen“, berichtet Anja Flicker schmunzelnd. „Wir hatten aber in Würzburg inzwischen gelernt, dem nachzuspüren: Wenn die Nutzer:innen die Sessel immer woanders hinstellen, dann fühlen sie sich da offenbar wohler. Was ist da schöner? Mehr Licht? Dann richten wir eben die Sesselecke dort ein, wo die Sessel hingeräumt wurden. Dafür müssen dann auch mal Bücherregale zur Seite rücken.“
Und so wird das iterative Vorgehen allmählich zur Selbstverständlichkeit: Aus Interviews erste Vorschläge entwickeln, Prototypen oder Testversionen bauen, ausprobieren und Erfahrungen sammeln, beobachten und auswerten, rückfragen, ggf. modifiziert planen, wieder ausprobieren, weiter beobachten, …
„Ohne Haltung ist alles nichts!“
Entscheidend ist bei allen Vorgehensweisen die Entwicklung einer anderen Haltung. „Es genügt nicht, die Prozesse, also den Einkauf und die Ausleihe von Büchern perfekt zu organisieren. Es reicht auch nicht, neues Mobiliar anzuschaffen und umzuräumen“, so Anja Flicker. Bei der Bibliotheksentwicklung – wie auch bei allen anderen Verwaltungsbereichen, die man nutzerzentriert weiterentwickeln möchte – komme es auf die veränderte Haltung an: „Ohne Haltung ist alles nichts!“ Und dazu gehören individuelle und gemeinsame Leitlinien wie
- „Wir wollen für die Leute das Beste erreichen.“
- „Wir wollen es einfacher machen für die Leute.“
- „Wir wollen herausfinden, was es braucht, damit sich die Menschen hier wohlfühlen.“
- „Wir erkunden aktiv, was den Nutzer:innen gut tut – und warten nicht, bis Vorschläge oder Beschwerden kommen.“
Genau aus dieser Haltung heraus entsteht auch ein anderes Verhältnis zu den Nutzer:innen:
Offenheit wagen und den Nutzer:innen etwas zutrauen. „Das haben wir in Würzburg im Konzept der „offenen Bibliothek“ realisiert – wie übrigens weltweit viele Bibliotheken das unter dem Label „Open Library“ auch getan haben“, schildert Anja Flicker. Und woran würden wir dieses Konzept der „Offenheit“ merken, wenn wir eine Bibliothek betreten? fragen wir neugierig nach.
„Ganz einfach: Eine solche ‚offene Bibliothek‘ erkennen Sie daran, dass sie auch dann zugänglich ist, wenn kein Bibliothekspersonal anwesend ist. In der Stadtteilbücherei Würzburg-Hubland ist der Zugang 7 Tage die Woche möglich, täglich von 7 – 22 h, also teilweise auch in Abwesenheit des Bibliothekspersonals. Wenn Sie einen Bibliotheksausweis haben und älter als 16 Jahre sind, können Sie rein“, erklärt Anja Flicker. „Und dann können Sie lesen, lernen, spielen, im Web surfen, mit anderen schwätzen, sich einen Kaffee kochen, Ihren Kindern was vorlesen – wonach auch immer Ihnen ist.“
Sie nimmt dann auch sofort einer Nachfrage den Wind aus den Segeln, bevor wir sie gestellt haben: „Nein, es werden nicht reihenweise Sessel oder Kaffeemaschinen abtransportiert, es wurde nichts gestohlen oder vorsätzlich kaputt gemacht.“ Die gemeinsame Verantwortung sei hoch: „Man passt miteinander und aufeinander auf.“ Klar gebe es auch Konflikte – weil einige in Ruhe lesen wollen, während andere mit ihren Kindern gerade dort den Regentag vertoben. „Wir versuchen, derlei nicht durch Verbote zu regeln. Sondern regen an, wie man so etwas einvernehmlich und in gegenseitiger Rücksichtnahme klären kann.“
Und sie ergänzt noch: „Die Bücherregale stehen nicht mehr wie früher quer im Raum, sondern an der Wand entlang. Damit der Raum in der Mitte für die Besucher:innen frei ist zum Lesen, Reden, Entspannen, Spielen.“
Solche „dritten Orte“, einladend, anregend, nicht-kommerziell, Austausch und Diskurs-fördernd, findet Anja Flicker in unserer Gesellschaft ungeheuer wichtig. Zumal es außerhalb der kommunalen Angebote immer weniger davon gibt. Und sie entwickeln ihre Funktionen immer weiter – so wie sich auch die Welt drumherum verändert. Wir denken gemeinsam laut: Wenn der Winter kalt würde und viele Menschen sich Wärmeenergie zuhause nicht mehr leisten könnten – würden dann Bibliotheken vielleicht auch als „Wärmeinseln“ dienen können? „Sicher!“ ist Anja Flickers Antwort darauf. Wir stellen uns vor, wie ein empörter Bürger dann schnauben könnte: „Und dann wollt ihr denen vielleicht auch noch warme Decken anbieten!?“ Und Anja Flicker mit einem trocken-kurzen „Na klar – gute Idee!“ antworten würde.
Das Team und die internen Strukturen entwickeln, Selbstorganisation fördern
Anja Flickers reiche Erfahrung mit nutzerzentrierten Veränderungsprozessen, hat aber auch ihren Blick geschärft, was es von innen unbedingt braucht, damit diese Veränderungs-Arbeit auch fruchtet:
Mitarbeitende müssen geübt sein in Veränderungen
„Eine Führungskraft kann tiefgreifende Veränderungen nicht allein in die Zukunft bringen“, ist Anja Flicker überzeugt. „Das ist ein gemeinsamer Weg: Team und Führungskraft müssen lösungsorientiert auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten – ohne dass schrittweise Vorgaben gemacht oder ständig konkrete Änderungsvorschläge „von oben nach unten“ ins Team gegeben werden müssen.“
Was in Würzburg der Fall war, aber längst nicht selbstverständlich ist: Die Mitarbeitenden waren bereits an gemeinsame Entwicklungsarbeit gewöhnt, schon Anja Flickers Vorgängerin Dr. Hanne Vogt (heute Leiterin der Stadtbibliothek Köln) habe partizipative Prozesse als selbstverständlich etabliert. „In der Verwaltung ist es aber oft so, dass Mitarbeitende noch nicht gewöhnt sind, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Sie wurden vielleicht nie zur aktiven, selbstgesteuerten Partizipation eingeladen, haben gelernt, zu warten, bis sie angesprochen werden; der Blick auf die möglichen Hindernisse ist oft geschärfter als der Blick auf die Chancen. Es reicht nicht aus, entwicklungsorientiert arbeiten zu wollen, man muss es auch können. Hier ist Führung gefragt, den entsprechenden Kompetenzaufbau von Selbstorganisation, Projektgestaltung, Besprechungsformaten usw. zu ermöglichen“, so Anja Flicker.
Kulturwandel braucht Zeit
Auch aus diesem Grund brauchen Innovationen und Veränderungsprozesse, die wirklich ein anderes Selbstverständnis der Organisation, andere Prozesse, echte Partizipation der Nutzer:innen oder Adressat:innen bewirken wollen, vor allem eines: Zeit. Das interessante Bibliotheks-Vorbild in Aarhus (Dänemark) habe 10 Jahre Entwicklungsarbeit mit Design Thinking Methoden betrieben. „Dann kann man die neue Bibliothek eröffnen – und muss natürlich weiterhin offen bleiben für weitere Veränderungen“, betont Anja Flicker. Der kurz nach Anja Flickers Amtsantritt in Essen 2020 begonnene Strategie- und Organisationsentwicklungsprozess der Essener Bibliothek wird für die Jahre 2021-2023 vom Land NRW finanziell gefördert. Dadurch ist externe Beratung und methodische Unterstützung möglich.
Ziel bis Ende 2023 ist es, Erkenntnisse über den Status quo und Entwicklungspotenziale zu ermitteln, Ziel-Profile für die einzelnen Standorte (Zentralbibliothek und Stadtteilbibliotheken) zu erarbeiten und mögliche Wege vom Ist zum Soll zu beschreiben. Danach folgt die Realisierung. Wir reden als auch in Essen von einem andauernden Prozess. Alles wird – wie oben beschrieben – vom Team der Stadtbibliothek gemeinsam und mit Beteiligung von Bürger*innen erarbeitet.
Organisationsstrukturen können ausbremsen
Bisherige Organisationsstrukturen und Arbeitsprozesse passen meist gut zueinander, wie ein altes Ehepaar haben sie sich aneinander gewöhnt. Wenn jetzt die Innovationsarbeit eine entscheidende Veränderung mit sich bringt im Kern des Selbstverständnisses, sind automatisch auch Strukturen, Stellen, Kompetenzanforderungen, Prozesse und Arbeitsweisen… tangiert – wie in einem Mobile.
„Für uns Bibliotheken ist es eine gravierende Veränderung, ob wir unser Selbstverständnis, unsere Aufbaustrukturen und unsere Arbeitsweisen rund um ‚Einkauf und Ausleihe von Büchern‘ organisieren – oder ob wir im Kern ,Wohlfühlorte und Zugang zu Wissen und Teilhabe für unterschiedliche Zielgruppen‘ herstellen“, schärft Anja Flicker den Blick für die tiefen Einschnitte, die eine Veränderung in Richtung der Bedarfe von Nutzer:innen mit sich bringt. „Also brauchen unsere Teams auch Zeit und ggf. Unterstützung bei der Teamentwicklung: Wie arbeiten wir anders zusammen, wenn wir das neue Konzept umsetzen? Und auch die Aufbaustruktur mit ihrer festen Arbeitsteilung wird sich verändern müssen.“ Man ahnt beim Zuhören: Da wird sich mancher Stellenzuschnitt verändern, Gewohntes wegfallen, neue Rollen und Stellen kommen hinzu. Und die Arbeit in flexibel und ggf. nicht mehr fest standortbezogen arbeitenden Teams lässt sich nur schwer in ein klassisches Organigramm einfügen.
Ein gutes Verhältnis von Innovationsarbeit und Routine finden
Kein Verwaltungsbereich kann während der Veränderungsarbeit ein Schild „vorübergehend geschlossen“ an die Tür hängen: Innovationsarbeit und Aufrechterhaltung des Betriebs müssen parallel laufen. Gerade angesichts der oft mehrere Jahre umfassenden Neukonzeptionen und Erprobungen mittels Design Thinking.
Innovationsarbeit frisst phasenweise auch unterschiedlich viel Ressourcen. Und man muss aufpassen, dass nicht die Innovationsarbeit im Scheinwerferlicht steht und diejenigen, die die Routine aufrechterhalten, im toten Winkel liegen.
Es gilt also, gut zu überlegen, wie die Ressourcen auf beide Arbeitsfelder „Innovation“ und „Routine“ aufgeteilt werden, wie man Vorlieben aufgreift, aber eben auch die Rollen nicht dauerhaft festschreibt – denn letztlich müssen alle Mitarbeitenden den Schritt in die „neue Welt“ mitmachen. Sinnvoll ist, diese parallelen Arbeitsanforderungen auch offen in und mit den Teams zu besprechen. Externe Beratung hilft zudem, den roten Faden der Veränderungsarbeit zu halten, der manchmal im Alltag unterzugehen droht.
Je mehr wir von Anja Flicker erfahren, desto mehr ahnen wir: Die eigenen Dienstleistungen so konsequent an den Nutzer:innen auszurichten, ist langwierig und anstrengend und verlangt den Mitarbeitenden viel ab. Haltung zu verändern, ist schwieriger, als eine neue Gesprächsmethode zu lernen. „Was können Sie denen mit auf den Weg geben, die eigentlich auch loslegen wollen, aber vor der Aufgabe ein wenig zurückschrecken?“ fragen wir Anja Flicker zum Schluss. Ihre Ermutigung kommt postwendend: „Die große Freude, wenn man aktiv auf Leute zugeht und sich Rückmeldung einholt. Die Menschen sind happy, wenn man sie fragt – so viele sagen erst mal etwas Positives, gerade auch über die Mitarbeiter:innen!“ Das seien so wertvolle, ermutigende und motivierende Erfahrungen – für ihre Mitarbeitenden in Würzburg wie in Essen. Und die wünsche sie auch anderen.
Beitragsbild: Mitarbeitende und Kund*innen im Gespräch über Prototypen (Stadtbibliothek Würzburg-Hubland)
Foto-Nachweise: Alle nicht gesondert mit © versehenen Fotos: Anja Flicker (Direktorin Stadtbibliothek Essen), Eva Eichhorn (Leiterin Stadtteilbibliothek Würzburg Hubland),
[1] Treffpunkt für die nachbarschaftliche Gemeinschaft, niedrigschwellig erreichbar, für alle zugänglich, nicht kommerziell – ergänzt Privat- und Arbeitsbereich.