Innovation meets Konfetti-Kanone: Ein Besuch beim GovLab Arnsberg

Ein „Innovationslabor“ – ausgerechnet in einer Bezirksregierung?! In einer Behörde, der viele von außen eher noch mehr Neigung zur Bürokratie zuschreiben als anderen Verwaltungen? Passt das zusammen? „Ja, klar!“ sagen Nils Hoffmann, Antonia Steinhausen und Philipp Disselhoff vom GovLab der Bezirksregierung Arnsberg, die wir in dieser Woche besuchten. Sie sollten, hätten, würden, könnten, machen einfach. Und liefern ein Feuerwerk an Ideen und Aktionen, die ausgehend vom unkonventionell eingerichteten „Lab“ in der 10. Etage hoch über den Dächern von Arnsberg mehr und mehr das Haus durchdringen. Erstaunlich bodenständig und erfolgreich zugleich.

An die 1800 Mitarbeitende arbeiten in der Bezirksregierung für eine Region mit 103 Kommunen und 3,6 Mio Einwohner*innen: „Wir sind die Konfettikanone unter den Behörden“, so fasst Nils Hoffmann die Spannbreite der verschiedenartigsten Aufgabenfelder und damit auch Berufsgruppen der Bezirksregierung in ein Bild.

Das GovLab-Team: Nils Hoffmann, Antonia Steinhausen, Philipp Disselhoff

Wozu ein GovLab?

Mit der Einrichtung eines Innovationslabors verfolgt die Bezirksregierung vier Ziele:

1. Verwaltung einfacher machen

Das wichtigste Ziel angesichts steigender Komplexität unserer Welt, findet das Team: Verwaltungsabläufe müssen mit weniger Prozessschritten auskommen, eine einfache, leicht verständliche Sprache nutzen und gute, leicht bedienbare Software einsetzen, mit der auch „Nicht-IT-Cracks“ gut zurechtkommen. Und Bürger*innen eben auch.

2. Verwaltung besser machen

Verwaltung muss die eigene Wirksamkeit erhöhen – die Mittel gezielter einsetzen und aus Geld und anderen Ressourcen das Bestmögliche herausholen. Um sich da beständig zu verbessern, braucht es auch den Blick zurück: Haben wir das erreicht, was wir angestrebt haben? Messen und Evaluieren gehört also dazu.

3. Verwaltung schneller machen

Hier drückt der Schuh am meisten! „Gleichzeitig ist das aber auch das dickste Brett, das zu bohren ist“, konstatiert Nils. Verwaltungen sind gewohnt, genau, gründlich und nacheinander an einer Sache zu arbeiten – und das wird dann angesichts vieler Beteiligter fast immer ziemlich lang. Zu lang. „Wir verfolgen hier den Ansatz, zu Beteiligende, also z.B. auch Personalrat und Gleichstellungsbeauftragte, von Anfang an mit an den Tisch zu holen. So haben sie die Möglichkeit, aktiv mitzuwirken und ihre Perspektive einzubringen, anstatt erst hinten raus zu kontrollieren und mitzuzeichnen“, beschreibt Nils die Vorgehensweise des GovLabs.

4. Verwaltung überlegter machen

Verwaltung arbeitet noch zu wenig evidenzbasiert, zieht noch zu wenig Zahlen-Daten-Fakten heran, um gezielt den Hebel anzusetzen und zu überprüfen, ob die Effekte eingetreten sind, die man erzielen wollte. „Niemand hat Zeit, Daten aufwendig zu erheben – aber man kann ja schon mal diejenigen Daten und Informationen auswerten und nutzen, die eh erfasst werden und zur Verfügung stehen“, so Nils.

Und was genau macht das GovLab nun?

Sitzecke im GovLabDas GovLab betreut und berät innovative Projekte quer durch alle Fachbereiche. Und es hilft Teams dabei, Probleme zu lösen und gemeinsam einfache, aber wirkungsvolle Lösungen zu finden und gleich auch umzusetzen.“ Manchmal kommt der Anstoß aus den Fachbereichen („Wir brauchen Beratung … Könnt ihr uns mal helfen?“), manchmal hat das GovLab eine lohnenswerte Idee und sucht sich ein Team von Mitstreiter*innen.

Leute zusammenholen, alle an einen Tisch und auf Augenhöhe, und einfach mal anfangen – das ist eh das zentrale Arbeitsprinzip des GovLab. „Und dann unterscheidet sich eine Verwaltung plötzlich gar nicht mehr so sehr von einem Start-up“, meint Nils Hoffmann. „Wenn man so arbeitet, haben die Leute einfach Bock darauf.“

Damit Ideenreichtum und Kreativität in den Köpfen nicht ausgehen, sorgt das Team bewusst für vielfältigen Austausch und Vernetzung mit anderen Innovator*innen in Verwaltungen und der freien Wirtschaft. „Wir brauchen Input von außen!“

Hier nun drei Beispiele, die die Arbeitsweise des Innovationslabors veranschaulichen:

Chatbot zum LEADER-Förderprogramm

Das LEADER Förderprogramm zur Stärkung des ländlichen Raums wirft naturgemäß viele Fragen auf. Statt dass sich Interessierte durch unendliche FAQ-Listen wühlen, könnte ihnen doch vielleicht ein Chatbot die Sache erleichtern: ein textbasiertes Dialogsystem, dem man in einem Textfeld eine Frage zu LEADER stellen kann und das dann die passenden Antworten auswirft. Würde das, was im Online-Handel oft schon eingesetzt wird, auch für Verwaltungen taugen? Im WorkshopGleich mal praktisch ausprobieren, war die Devise. Das GovLab lud ein „crossfunktionales“ Team ein, half mit einer kleinen Einführung zur Erstellung von Anwendungen per „low code“, also ohne Programmierkenntnisse, und dann ging es los. Bis zum Prototypen erforderte der Chatbot an Ressourcen nur 6 Personentage und 60 €, nach 4 Monaten war die Anwendung landesweit einsetzbar. Und erleichtert nun sehr vielen Antragsteller*innen das Leben.

Verwaltung programmiert selbst

Bußgeldbescheide für Schulschwänzer –Routine inzwischen, leider. Bislang ziemlich aufwändig in der Erstellung: Aus mehreren Tabellen mussten Daten extrahiert und mit Textbausteinen zu Bescheiden verknüpft werden. Nun haben die Sachbearbeiter*innen mit Unterstützung des GovLab gemeinsam eine einzige, umfassende Excel-Tabelle gebaut und mit Visual Basic programmiert, aus der heraus Bescheide generiert werden können. 4 Tage Investition, aber eine dauerhafte riesige Arbeitsersparnis. Auch hier zeigte sich wieder die Rolle des GovLab: Nicht etwas für andere machen, sondern unterstützen, dass die Betroffenen es selbst machen können. Hilfe zur Selbsthilfe eben. Und dann macht es dem Team Spaß zu beobachten, dass es nicht immer nur die „Digital Natives“ sind, die begeistert sind. Sondern auch langjährige Kolleg*innen, die von den Möglichkeiten der Digitalisierung gepackt werden. Und von der Selbstwirksamkeit, die sie erleben, wenn sie sie selbst mitgestalten.

Angebot „Macher-Werkstätten“

Ganz nah am Alltag und an all den Fragen, über die man dort stolpert, entwickelt sich gerade ein Hit im Angebots-Portfolio des GovLab: die Macher.Werkstatt. Ein maximal 4-stündiger Innovationsworkshop im GovLab, bei dem ein Team oder auch Beteiligte aus verschiedenen Organisationsbereichen gemeinsam Lösungen zu ganz konkreten Problemen aus ihrem Arbeitsalltag erarbeiten.

Derzeit gibt es vier Themen-Werkstätten:

  • „daten.MACHER“: In der Daten-Werkstatt smarte Tabellen und Listen bauen, um einen bestimmten Arbeitsablauf zu vereinfachen.
  • „digital.MACHER“: In der Office-Werkstatt smarte Dokumente erstellen, die Möglichkeiten der Office-Produkte nutzen, um einen Prozess zu verbessern.
  • „service.MACHER“: Wie können wir die Kundenzufriedenheit in einer konkreten Dienstleistung steigern?
  • „kollaborations.MACHER“: In der Werkstatt für Zusammenarbeit neue Besprechungs- und Arbeitsformate ausprobieren.

GovLab Postkarten zu den Werkstätten

Eine Atmosphäre für Offenheit zu schaffen, ist die wichtige Anfangsinvestition: Erzählen, ins Reden kommen, was los ist. Aussprechen, was man denkt, aber bisher nicht laut gesagt hat. Daraus das Problem auf den Punkt bringen.

Kanban-Board des GovLab

Ein solches Kanban-Board nutzt übrigens auch das GovLab-Team 🙂

Und dann: machen. Gleich die Ideen umsetzen. Zum Beispiel ein Kanban-Board für die Teambesprechungen konzipieren und sofort die erste Besprechung durchführen, um zu prüfen, ob das Board als Leitschnur taugt.

„Was wir nicht machen: umfassende Fortbildung. Wir arbeiten immer nur ausgehend von konkreten Problemen.“ Da ist das Team sich einig. „Auch wenn manchmal eingangs die unausgesprochene Erwartung besteht: „Bitte macht das für uns“, so verstehen wir uns immer als Unterstützung: Die Kolleg*innen sollen es selbst lernen. und das gelingt auch. Und die Kolleg*innen gehen gestärkt in den Alltag zurück.“ Bei Bedarf gibt es ein Follow-up, um zu prüfen, ob die Veränderung trägt.

Knapp 30 dieser Werkstätten wurden bisher durchgeführt.

Für Philipp sind die Werkstätten ein Unterstützungsangebot, das auch andere Verwaltungen übernehmen könnten, ohne gleich ein Innovationslabor zu gründen: „Sowas könnte man auch unabhängig von einer Organisationseinheit GovLab machen. Also auch eine Orga-Abteilung oder ein IT-Dezernat könnte sagen: Das ist ein Format, das wir euch unabhängig von unserer fachlichen Beratung anbieten.“

Wer noch mehr Beispiele mitbekommen will, dem empfehlen wir, auf der Website des GovLab zu stöbern – und machen hier schon mal mit einigen Stichworten neugierig: Videotutorials zu Verwaltungswissen für Quereinsteiger*innen, Tools und Instrumente für den Sofortgebrauch im Intranet, „Augmented Reality Day“, …

Vor welchen Herausforderungen steht das GovLab?

Nicht alle sind begeistert von den innovativen Vorgehensweisen des GovLabs („Was habt ihr da schon wieder gemacht?“). Und manche verbinden „einfacher und schneller machen“ mit der Sorge, dass im nächsten Schritt Stellen eingespart werden. Dabei wird im Gespräch mit dem GovLab deutlich, dass es vor allem um eines geht: den Kolleg*innen die Arbeit zu erleichtern. Auf diese Weise werden Freiräume geschaffen, die es braucht, um mit den ständig wechselnden Anforderungen durch Digitalisierung & Co. Schritt zu halten.

Ein weiteres Hindernis: Es ist nicht einfach, die Kolleg*innen aus den in der Region verstreuten Außenstellen zu erreichen. Das Team experimentiert bereits damit, kleine Veranstaltungen oder Werkstätten im Hauptgebäude per Video auch in die Außenstellen zu übertragen, um Reisekosten und -zeiten zu sparen. „Da müssen wir aber noch weitere Ideen entwickeln.“

Auch der eigene Anspruch an Erfolgsmessung macht dem Team noch zu schaffen. „Wir sind noch auf der Suche nach unaufwändigen Evaluationsmöglichkeiten. Da geht es uns wie den Führungskräften im ganzen Haus“, konstatiert Philipp Disselhoff selbstkritisch. „Aber da müssen wir ran!“

Was das GovLab-Team gelernt hat – und was andere vom GovLab-Team lernen können

Unsere Frage zum Abschluss: „Ist euch mal so richtig was gegen die Wand gefahren und was habt ihr daraus gelernt?“. Schweigen. Angestrengtes Kramen in den Köpfen. Aber zum ersten Mal fällt der kreativen Runde kein Beispiel ein. Wir wechseln neugierig die Perspektive: „Habt ihr eine Idee, woran es liegt, dass ihr noch keinen Crash gebaut habt?“ Ein Erklärungsansatz: Das GovLab hat nicht den Anspruch, dass sofort alles rund läuft. Antonia: „Wir testen hier viel aus, sagen, es muss nicht alles perfekt sein am Anfang. 80% reichen auch aus. Wichtig ist, dass das Grundgerüst steht.“. Und Philipp ergänzt: „Das kommunizieren wir auch sehr klar von Anfang an und beugen so falschen Erwartungen vor“.

Außerdem nimmt das GovLab-Team nicht jeden Auftrag an, der an das Lab herangetragen wird. Jede Anfrage wird hinsichtlich zweier Kriterien geprüft:

  1. Sind die beteiligten Personen bereit, sich auf innovative Arbeitsweisen einzulassen?
  2. Ist das Problem überhaupt durch die beteiligten Personen beeinflussbar?

„Es kommt auch vor, dass wir zurückmelden müssen: Sorry, tut uns leid – aber dieses Problem können wir leider nicht lösen“, erklärt Philipp. „Auf diese Weise setzt das GovLab seine Ressourcen optimal ein – und erreicht schnell Erfolge, die wiederum andere anspornen.“

Weitere Erfolgsfaktoren:

  • Das iterative Vorgehen (ausprobieren – Erfahrungen auswerten – Vorgehen modifizieren – weiter ausprobieren – …) – gemeinsam mit den Betroffenen.
  • Die Rückendeckung seitens der Verwaltungsspitze. Projekte des GovLab werden grundsätzlich als „vorrangiges Dienstgeschäft“ behandelt.
  • Es muss Spaß machen! Gefördert wird der Spaß dadurch, dass das GovLab hierarchiearm bzw. quer durch die Hierarchien arbeitet.

Es folgt noch ein ganz praktischer Tipp: Anglizismen vermeiden. „Mit zu vielen englischen Ausdrücken kann man die Kolleg*innen wirklich vergrätzen“, sagt Philipp Disselhoff. „Und fast immer ist dieser „Management-Sprech“ unnötig. Für die meisten englischen Begriffe gibt es deutsche.“ Äh – und wieso dann „GovLab“? Diese Steilvorlage können wir als Interviewerinnen nicht vorbeiziehen lassen. „Tja – irgendwie müssen wir ja schon auch ausdrücken, dass unsere Einheit etwas Neues, Innovatives ist. Und es gibt schon andere GovLabs (z.B. GovLab Austria), das ist ja schon fast so eine Art Marke.“ Das Organigramm der Bezirksregierung findet übrigens weise einen Kompromiss: „Innovationslabor (GovLab)“ heißt es hier.

Und wenn es doch mal einen Flop gibt? Philipp Disselhoff bleibt entspannt: „Den wird es bestimmt noch geben, davon bin ich überzeugt. Aber davor haben wir keine Angst. Dann lernen wir daraus und machen es beim nächsten Mal anders!“

Antonia Steinhausen ist es wichtig, nur mit der halben Arbeitszeit im Lab tätig zu sein und zugleich noch im Büro des Regierungspräsidenten zu arbeiten. „Ich behalte Kontakt zur Basis – das ist mir für mich selbst wichtig, aber es hilft auch in der Wahrnehmung der anderen.“ betont sie. „Wir im Lab sind nicht abgehoben, sondern mittendrin: Wir wissen, wie der Alltag im Haus läuft.“

Mit Blick auf die tapferen Einzelkämpfer*innen in vielen Verwaltungen fragen wir neugierig nach: „Wenn ihr nicht so wunderbare Rahmenbedingungen und vor allem nicht die enorme Unterstützung von oben hättet – wie würdet ihr dann vorgehen?“ „Das käme auf meine Zielsetzung an“, meint Antonia. „Wenn ich hausweit etwas etablieren möchte, muss ich die Führung dafür gewinnen – und dann muss auch zunächst all meine Energie darauf gerichtet sein. Wenn ich nur in einem bestimmten Bereich wirksam werden will, dann kann ich auch einfach mal andere Methoden oder Tools nutzen, um im Team neue Erfahrungen zu ermöglichen. Das geht auch in einem kleinen Wirkungskreis. Anfangen kann man eigentlich auch im Kleinen!“

Nils Hoffmann mit VerwaltungspreisDer Preis für gute Verwaltung, den das GovLab im April 2019 verliehen bekam, ist Bestätigung und Rückenwind zugleich. Was den Erfolg des GovLab ausmacht: Es gibt überraschende und erstaunlich reiche Erfolge – durch das Experimentieren, das „Schnell ins Tun-Kommen“. Und neben diesen Wow!-Effekten stößt das GovLab beharrlich eine Vernetzung im Haus an – unter all denen, die wollen, dass Verwaltung einfacher, schneller, besser, überlegter wird.

Nach zwei Stunden Interview machen wir uns vollgepackt mit guten Ideen auf den Heimweg in den Ruhrpott. Wir sind schwer beeindruckt, wie viel hier mit nur 2 Stellen (eine Vollzeitstelle und zwei halbe) auf 1.800 Beschäftigte bewirkt wird. Und wir haben keinen Zweifel, dass sich diese Investition mehr als rentiert. Warum eigentlich nicht in jeder Verwaltung?


Zum Abschluss noch ein heißer Veranstaltungstipp für Kurzentschlossene:

Wer das GovLab-Team kennenlernen möchte, hat hier die Gelegenheit:

Label der Tagung GovBetaGov.Beta –
Gestalten Sie mit uns die Zukunft der Verwaltung und diskutieren Sie mit GovTech Gründern.
02. 09.19, 09.30 – 17.30 h in der Sparkassenakademie NRW (am Phoenixsee in Dortmund).

Programm und alle notwendigen Informationen zur kostenfreien Anmeldung hier

2 Kommentare

  1. Jürgen Brings sagt:

    Wie immer: Ein lesenswerter Beitrag von der Praxis für die Praxis 🙂 Danke!

  2. Anne Janssen sagt:

    Toller Beitrag! Mit Verspätung gelesen.
    Vielen Dank!

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