Wir machen Stadt!

Nach zwei inspirierenden Tagen beim Camp #1 der Stadtmacher Akademie sitze ich im Zug von Berlin zurück nach Essen. In meinem Kopf viele Ideen, die ich gern mit euch Verwaltungsrebell*innen teilen möchte – bevor ich nächste Woche wieder keine Zeit dafür habe (Zeit – auch so ein Thema – dazu später mehr).

In diesem Beitrag geht es um’s Stadtmachen, um Ideen für neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft und darum, wie es weitergehen könnte mit den Verwaltungsrebellen.

(außerdem findet ihr hier zahlreiche Links zu Beispielen rund um’s Stadtmachen und um neue Formen der Partizipation)

Was ist die Stadtmacher Akademie?

Dieses Angebot des vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. unterstützt kreative Akteur*innen, die sich in ihrer Arbeit für eine nachhaltige und soziale Entwicklung in ihrer Stadt einsetzen. In drei Camps im Laufe eines Jahres haben Initiativen die Möglichkeit, ihre Projekte weiterzuentwickeln, und erhalten gleichzeitig Input zu aktuellen stadtpolitischen Themen, Zukunftstrends der Stadtentwicklung und neuen Arbeitsformen.

Dazu hat der vhw seinen Wissenschaftler Sebastian Beck auf das Thema angesetzt und sich Laura Bruns von stadtstattstrand dazugeholt. Unterstützt durch ein engagiertes Team und durch Dr. Raban Daniel Fuhrmann als “Hebamme” des Projektes haben sie ein tolles Konzept zusammengestrickt und ein großartiges erstes Camp für uns auf die Beine gestellt. VIelen Dank dafür! 🙂

Als Verwaltungsrebellen haben wir uns sehr über die Einladung und das Stipendium zur Teilnahme an der Stadtmacher Akademie gefreut. Aber wir haben uns auch gefragt: Passen wir hier rein? Schließlich sind wir kein klassisches Stadtentwicklungsprojekt, entwickeln uns gerade eher in Richtung einer Netzwerkinitiative, die Akteure (konkret: Verwaltungsrebellen) aus verschiedenen (Stadt-)Verwaltungen zusammenbringt. Spätestens nach dem ersten Camp, das nun am 13. und 14. September in Berlin stattfand, ist klar: Doch – das passt super!

Wer sind Stadtmacher?

Einfach gesagt: Menschen, die sich dafür einsetzen, dass ihre Stadt ein bisschen lebenswerter wird. Und die ihrer Stadt – inklusive der Stadtverwaltung – etwas zutrauen. Es geht um eine neue Kultur der Stadtentwicklung, die geprägt ist durch Machertum (do-it-yourself plus do-it-together), Ausprobieren und davon, Veränderung erlebbar zu machen und gemeinsam zu gestalten. Was Stadtmachertum darüber hinaus ausmacht:

  • Engagierte sind selten parteipolitisch engagiert. Beim Camp gab es null Hände aus der Runde bei der Frage: Wer ist Mitglied einer Partei? Ein Blick in die Runde (s. Beitragsbild) zeigt außerdem, dass hier nochmal andere Bevölkerungsgruppen vertreten sind als etwa in vielen Stadträten oder Stadtteilkonferenzen. Stadtmachen bietet niederschwellige Möglichkeiten, Demokratie mitzugestalten (z.B. auch für Menschen ohne deutschen Pass).
  • Die Digitalisierung ermöglicht neue Formen des Sichtbarmachens, der Vernetzung und Mobilisierung von Unterstützung.
  • Die zunehmende gesellschaftliche Relevanz von Nachhaltigkeit und ökologischer Entwicklung und der Wunsch, sich gegen Polarisierung und für Gemeinschaft einzusetzen, steigern die Bereitschaft, sich in Stadtentwicklung einzubringen.

Hier einige Teilnehmende der Akademie, die die Vielfalt des Stadtmachens aufzeigen:

  • Shquared aus München bieten nach dem Motto „Komm, wir teilen uns die Stadt“ eine digitale Plattform für die Parallelnutzung von Gewerbeflächen außerhalb ihrer Öffnungszeiten (z. B. ein Friseursalon, der montags zum Showroom wird).
  • Das Reallabor Radbahn aus Berlin ist ein Beispiel für innovative Stadtentwicklung – auf 200m wird gemeinsam mit Bürger*innen ausprobiert, wie eine zukünftige Radtrasse unter der Bahn-Linie U1 gestaltet sein könnte.
  • Das KD 11/13 – Zentrum für Kooperation und Inklusion in Essen schafft in einem ehemaligen Gemeindezentrum ein „Quartiers-Wohnzimmer“, (interkulturelle) Begegnungsmöglichkeiten und Räume für Menschen, die sich in ihrem Stadtteil (Altenessen) engagieren.

Außerdem sind dabei: Die Mitmachzentrale (Gerlingen), machbar – Kultur auf der Kaserne (Bamberg), das Kunst- und Kreativhaus Rechenzentrum (Potsdam), das Warnow Valley (Rostock), die Initiative Stadtraum (Aachen), die Raumkollaboration (Augsburg), Dortmund 2040 (Dortmund), die Wanderbaumallee (Stuttgart), das Verbündeten-Netzwerk (Hamburg), die Interkulturanstalten Westend (Berlin), die Stadtbewegung (Berlin) und das Unternehmensnetzwerk Großbeerenstraße (Berlin).

Was für ein engagierter Haufen! Ich bin schwer beeindruckt, was diese Macher*innen bewegen!

Und nun ein paar Ideen, die ich aus dem ersten Camp mitgenommen habe:

Denkanstöße für Verwaltungen

Das Verhältnis von Stadtmachern zu ihren Verwaltungen ist ambivalent. Sie sind auf Unterstützung angewiesen, die Verwaltung ihnen manchmal nicht geben kann. Weil …

  • … viele gute Ideen auf viel zu knappe Mittel treffen,
  • … Ideen neu und oft interdisziplinär angelegt sind, so dass mehrere Ämter angesprochen wären und doch keines so recht zuständig ist,
  • … Verwaltungsprozesse anders ticken als die agile Vorgehensweise der Initiativen
  • … oder weil Verwaltung schlicht die Kapazitäten fehlen, um sich mit den Initiativen auseinanderzusetzen.

Das kann ganz schön frustrieren. Trotzdem trauen Stadtmacher Verwaltung etwas zu: „Hinter Verwaltung stehen immer Menschen, die eigentlich einen guten Job machen und ihre Stadt positiv gestalten wollen“, „Beschäftigte in Verwaltungen können viel mehr – man muss sie nur lassen“. Verantwortlich gemacht werden nicht die Menschen in Verwaltungen, sondern „das System“ Verwaltung und die Verwaltungskultur. Und in diesem Zusammenhang stieß die Idee der Verwaltungsrebellen auf viel Zuspruch. Ich freue mich sehr, an euch weiterzugeben: Liebe Verwaltungsrebellen, ihr seid echte Hoffnungsträger! Die Stadtmacher glauben, dass ihr einen wertvollen Beitrag leistet zu einer beweglichen, innovativen und kooperativen Verwaltungskultur.

Aber was können Verwaltungsrebellen nun für die Stadtmacher tun? An knappen Mitteln, fehlendem Personal, gesetzlichen Vorgaben ändern sie nichts. Potential sehe ich aber bei Themen wie „Zuständigkeit“ und „Flexibilität“. Ein Ansatz, den ich dazu bei den Stadtmachern gefunden habe und der hier helfen könnte:

  1. Vertrauen schenken: Innovative Macher machen lassen, kalkulierte Risken eingehen („Was kann schlimmstenfalls passieren?“),
  2. alle an einen Tisch holen …: die Stadtmacher aus der Zivilgesellschaft zusammen mit Vertreter*innen der betroffenen Ämter,
  3. … und in Ko-Produktion bringen: gemeinsam an Lösungen werkeln, diese idealerweise auch erlebbar machen.

Ein tolles Beispiel dafür ist ein Projekt der Initiative Stadtlücken e.V. in Stuttgart:

Der Österreichische Platz liegt in Stuttgart unter einer Hauptverkehrsader und wurde bislang als Parkplatz genutzt. Die Stadt stellte dem Verein die Fläche 1,5 Jahre zur Verfügung, um mit alternativen Nutzungsformen zu experimentieren. Die betroffenen Fachbereiche der Stadtverwaltung wurden dabei sukzessive an einen runden Tisch zusammengeholt (Wirtschaftsförderung, Stadtplanungsamt, Tiefbauamt, Amt für öffentliche Ordnung, Grünflächenamt, …). In gemeinsamen Aktionen erarbeiteten Vertreter*innen von Zivilgesellschaft (Verein und Anwohner*innen), Verwaltung und Wissenschaft (z.B. Städtebau-Institut der Uni Stuttgart) Lösungen zur Raumnutzung, die direkt auf dem Platz ausprobiert wurden (z.B. Österreichische Brettljause mit Chorprobe, Common Kitchen – gemeinsames Kochen von geretteten Lebensmitteln, Sommerkino, Chorproben, Kinderferientage, Boulderwand, Flohmarkt, Pflanzentauschbörse, Kunstinstallationen u.v.m). Eine Arbeitsweise (auch „Reallabor“[1] genannt), die auch Beteiligten der Verwaltung Spaß gemacht hat. „Das war für sie auch ungewohnt, so zu arbeiten. Aber die hatten da teilweise auch Lust drauf, weil auch sie was bewegen wollen für die Stadt“, so Hanna Noller von den Stadtlücken. Weitere Infos und Bilder zu dem Projekt gibt’s hier.

“Fairytale Dinner” auf dem Oesterreichischen Platz; Foto: Stadtlücken e.V.

Gemeinsam machen statt „nur“ beteiligen: Das ist gelebtes Open Government und ein Ansatz, der etwa auch im Hackerspace Moers, bei den Barcamps in Freiburg und Hamm, beim Verschwörhaus in Ulm, in den Laboren sozialer Innovation in Dortmund und Wuppertal oder beim Smart City Hackathon in Essen erfolgreich ist.

Eine spinnerte Idee muss noch kurz raus: Wie wäre es, wenn Stadt / Land / Stiftung / … Innovationsagenten fördern würde – gut vernetzte Beschäftigte der Verwaltung, die Innovationsideen innerhalb der Verwaltung und in der Zivilgesellschaft aufspüren und sich dann darum kümmern, die entsprechenden Akteure an einen Tisch zu holen und die Zusammenarbeit zu moderieren (zu einer, wie Hanna sie nennt: „Taskforce Zukunft“). Ein bisschen in diese Richtung geht das „Service Design Studio“ von New York City: Dort unterstützt ein 4-6-köpfiges Team die 300.000 Beschäftigten der Stadtverwaltung bei der partizipativen (Neu-)Gestaltung sozialer Dienstleistungen. Ich bin überzeugt: So etwas muss doch auch eine Nummer kleiner gehen!

Denkanstöße für die Initiative Verwaltungsrebellen

Einen ganzen Haufen. Ich versuche, mich hier auf vier zu beschränken:

  1. Die Initiative betreibt umgekehrtes „Empowerment“

Auf den Gedanken hat uns Organisations- und Demokratieentwickler Dr. Raban Daniel Fuhrmann gebracht: „Alle reden immer davon, dass Verwaltung Zivilgesellschaft beteiligen und stärken soll. Aber die Verwaltung selbst bleibt dabei oft außen vor. Wenn Verwaltung wüsste, was Verwaltung weiß und kann… Was die Verwaltungsrebellen total spannend macht: Hier geht’s nicht darum: Verwaltung stärkt Zivilgesellschaft. Sondern: Zivilgesellschaft stärkt Verwaltung.“

  1. Auch Verwaltungsrebellen sind Stadtmacher

Klar, „per Definition“ sind Stadtmacher zivilgesellschaftliche Akteure. Und Zivilgesellschaft wird als „der Teil der Gesellschaft verstanden, der nicht durch den Staat und seine Organe (Behörden, Verwaltung) gesteuert und organisiert wird“[2]. Aber Verwaltungsrebellen sind ja nicht nur Beschäftigte der Verwaltungen, sondern auch Bürger*innen einer Stadt oder Gemeinde und können sich innerhalb ihrer formalen Zuständigkeit und darüber hinaus dafür engagieren.

  1. Verwaltungsrebellen sind auf Vertrauen angewiesen

Was die vielen Beispiele der Akademie zeigen: Erfolgreiches Stadtmachen braucht Macher*innen – und diejenigen, die ihnen Freiräume eröffnen. Und auch hier die Parallele zu unserer Initiative: Es wäre vermessen zu glauben, dass Verwaltungsrebellen allein von unten die Verwaltungskultur verändern können (auch wenn ein gewisses revolutionäres Potential entstehen könnte, wenn Verwaltungsrebellen anfangen, sich zu vernetzen… 😉). Die Beispiele, die wir bisher kennengelernt haben, zeigen: Verwaltungsrebellentum funktioniert vor allem dann gut, wenn innovative Macher*innen (Verwaltungsrebellen) auf Möglichmacher*innen treffen, die ihnen Vertrauen schenken und Freiräume eröffnen.

  1. „So nebenbei“ stößt unsere Initiative an Grenzen

Wir merken, dass Verwaltungsrebellen über die „Einbahnstraße“ Blog hinaus zunehmend den Wunsch nach Kommunikation in beide Richtungen äußern. Es gibt einen großen Bedarf nach Vernetzung, persönlichem Austausch und gemeinsamem Ausprobieren, dem wir eigentlich gern nachkommen würden. Gleichzeitig merken wir, dass wir an die Grenzen dessen stoßen, was wir „so nebenbei“ stemmen können (#Zeit, #amSamstagum22UhrimZugsitzenundBloggen). Wir arbeiten gerade daran, Mitstreiter*innen zu finden (die z.B. Blogbeiträge schreiben und mit uns zusammen Veranstaltungen und Treffen organisieren würden).

Spätestens nach dem Camp ist auch klar: Wir müssen als Initiative über Finanzierungsmöglichkeiten nachdenken. Es ist fast schicksalhaft, dass gerade jetzt das BMI ein Förderprogramm „Regionale Open Government Labore“ an den Start bringt, das ganz hervorragend passend würde. Also wir hätten da ein gutes Konzept… Dazu bald mehr. Dann werden wir nämlich Kommunen in der Rhein-Ruhr-Region suchen, die Lust haben, etwas mit uns zu starten.

Und hier noch ein paar Eindrücke von der Stadtmacher Akademie:



[1] Was ist eigentlich ein „Reallabor“? Hier eine knackige Definition vom Future City Lab der Universität Stuttgart: „Hinter dem Begriff „Reallabor“ verbirgt sich ein neues Forschungsformat: Nicht über Menschen und ihr Verhalten soll geforscht werden, sondern gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern gestalten Forscherinnen und Forscher reale Veränderungsprozesse, um praxisrelevantes Wissen und konkrete Lösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft zu entwickeln.“ (http://www.r-n-m.net/info/)

[2] aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Zivilgesellschaft

5 Kommentare

  1. Jürgen Brings sagt:

    Guten Morgen, wie immer ein äußerst lesenswerter und interessanter Beitrag. Eine grundsätzliche Frage ist mir beim Lesen wieder durch den Kopf gegangen: Ist gewollt, dass die Bilder nicht vergrößert werden können? LG aus Grevenbroich!

    • Sabine Schwittek sagt:

      Hallo Herr Brings, nee, ist keine Absicht – danke für den Hinweis. Müssen wir mal prüfen, aber kommen gerade nicht dazu, weil so vieles auf dem Zettel steht (ächz…). LG!

    • Menno sagt:

      Vergrößerung ist technisch für jeden möglich:
      1. Bild/Grafik mit rechter Maustaste anzeigen
      2. URL/Web-Adresse des Bildes , z.B. “https://verwaltungsrebellen.de/wp-content/uploads/2019/09/Stadtmacher_Abschluss-660×495.jpeg” anpassen
      –> hier “-660×495” in Web-Adresse entfernen
      –> also “https://verwaltungsrebellen.de/wp-content/uploads/2019/09/Stadtmacher_Abschluss.jpeg” aufrufen
      3. Großes Bild anschauen

  2. Lea Wüst sagt:

    Wirklich schöner Artikel! Ich wünsche mir sehr, dass dieser Spirit auch noch auf andere Städte übergeht! Liebe Grüße von den Musterwandlern- Netzwerkinitiative in Hochschulen

    • Sabine Schwittek sagt:

      Danke für das nette Feedback! Ich glaube, dass es an so vielen Stellen schon diesen Spirit gibt. Er wird häufig nur nicht sichtbar oder dringt nicht durch. Die 16 Stadtmacher-Beispiele sind nur einzelne von unzählig vielen in ganz Deutschland! Genauso, wie wir in jeder Verwaltung, die wir kennenlernen auch auf Verwaltungsrebellen treffen. Innovative Macher*innen, die etwas bewegen wollen – sie sind einfach überall! 😉

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